1. September 2005

Besetzung von Raum

 

 

"In Berlin wohne ich, damit ich mir keine Gedanken machen muss, ob ich vielleicht nach Berlin ziehen sollte", sagt sie. Nine Budde, geboren 1975, sitzt auf dem Balkon ihrer Wohnung im Wedding und schlingt sich fröstelnd einen blauen Schal um die Arme: "Aber auch wenn ich jetzt hier wohne: Berlin bleibt für mich eine Stadt des Transits. Hier ist zu wenig Spannung, es verdampft alles so schnell. Vielleicht liegt diese Stadt zu breit und ausgewalzt im preußischen Sand." Entwaffnend geradeaus.

 

Sie hat es mit Städten: In vielen Arbeiten geht es Nine Budde, die in Weimar Freie Kunst studiert hat, um Besetzung von Stadtraum und darum, wer ihn sich wie nimmt. Als sie unerlaubt ein Haus zumauern ließ, gab es fürchterlichen Ärger. Auch ihre in Weimar legal angebrachten Wandmosaike mit Tattoomotiven sind längst wieder übersprüht. Ob legal oder illegal, Nine Budde provoziert Interaktion. Mit Installationen, Objekten oder Videos macht sie ein komplexes Angebot, dessen Verzweigungen man nicht überblicken muss, um es anzunehmen. Wandarbeiten an Graffitiwänden werden von Sprayern natürlich in deren Sinne kommentiert. "Reaktionen vom Publikum gehören zu den unkontrollierbaren, aber erwarteten

Bestandteilen meiner Arbeit."

 

Kommunikation ist Nine Buddes Thema - und zwar solche, die zum Desaster gerät. Im Ausstellungsparcours "lovebattle", den sie im Kunstverein Arnsberg aufbaute, konnte man über ein Babyphone Skater belauschen, die sich vor dem Gebäude auf der Halfpipe produzierten. Dann konnte man diese Skater daten, sich mit ihnen fotografieren und zur Krönung tätowieren lassen. Ein wahnwitziger Mädchentraum, der nur im Kunstverein in Erfüllung gehen kann: Im Rahmen eines absurden Kommunikationsmoduls, das sich mit dem gewohnten, verschlungenen Sozialverhalten gleichzeitig beißt und deckt. In die Alltagspraxis lässt sich nur das Tattoo retten.

 

Aus dem Hin- und Herschnappen von Kunstkonzept und Reaktion resultiert die Komik von Nine Buddes Arbeiten. "Komik ist eine Welteröffnungstechnik", sagt sie und berichtet von der Überschwemmung, mit der ihre Karriere als Künstlerin begann: Ein Pool lief aus, der Fußboden war ruiniert, aber die Katastrophe machte eine Kuratorin aufmerksam.

 

Um wasserdichte Konzepte geht es nicht - zu groß ist der Spielraum, der Zuschauern und Benutzern bleibt, wenn Nine Budde Vorstellungen von Schönheit, Liebe, Trampen und Reisen auf ihre Belastbarkeit prüft. Dazu produziert Nine Budde oft Videos. Sie wählte dieses Medium, weil die Echtzeit ihr Ehrlichkeit, Nähe und

Dilettantismus beim Arbeiten erlaubt. Als Videokünstlerin sieht sie sich trotzdem nicht: Ihr Interesse liegt in den Narrationsmöglichkeiten, nicht in videotechnischem Budenzauber.

 

Seit 1998 arbeitet Nine Budde so. Gefördert durch Stipendien, gereizt von den Nebenjobs. Installationen lassen sich nicht einfach in Wohnstuben hinein verkaufen, so ist sie weiter geduldig bei der Suche nach einer kongenialen Zusammenarbeit.

 

Früher war sie selbst Darstellerin ihrer Performances. Das ließ sie sein, weil das Publikum zu offensichtlich auf laufende Bilder mit einer großen blonden Frau fixiert war. Jetzt dürfen andere die Protagonisten spielen.

 

Was andere bitte auch gern übernehmen dürfen, sind Galerien-Rundgänge.

Nine Budde geht selten zu Ausstellungeröffnungen: "Die Rituale dort sind mir zu starr. Ich fürchte das Diktat der Integration." Kontakte zu Kuratoren und anderen Künstlern ergeben sich im Zusammenhang mit eigenen Ausstellungsprojekten, nüchterner Recherche und über Empfehlungen, die ohne Prosecco in der Hand ausgesprochen werden.

 

Mit halbem Ernst überlegt Nine Budde zurzeit, ob sie nicht als Handleserin arbeiten sollte. Das wird aber, je länger sie drüber nachdenkt doch ein reines Kunstprojekt taugt also wieder nicht zum Geldverdienen. In zwei Jahren geht sie wohl mal wieder in die USA, wo sie bereits arbeitete: "Der Aktivismus da ist so unheimlich krass – first act then think! Ich brauche ab und zu Urlaub vom pseudoverkopften Deutschland." Sagt sie, und plant jetzt erst mal an der Tokioter Schau: Ein Film, in dem ein Käfer einen Schwan bepinkelt, bis der zusammensackt. Überblendet mit Bildern von Berlin, der Stadt, die ständig Energie verdampfen lässt.

 

NORA SDUN

 

Nächste Ausstellungen von Nine Budde: Tokyo, Session House, Takashi Ito 1.10.-10.10. 2005; Wien, Sammlung Essl, 11.11. 2005 - 29.1. 2006