26. August 2005

Cave canem

 

Was für ein Name, zu schön, zu manichäisch, um wahr zu sein: die Jungfrau auf/von der schiefen Bahn. Die Übersetzer haben sich dann dankbar auf das Gute in Louises Wesen gestürzt und nannten sie: Die Unberührte, denn unberührt ist sie, als genetische Lesbe (jedenfalls glaubt sie das). Für die andere Seite muss man sich den Originaltitel ansehen, der naiv übersetzt Die weisen Hündinnen heißt, im übertragenen Sinne Die Speichelleckerinnen. Da hat der Leser denn auch gleich die Damen im Pack und sozusagen direkt bei der Arbeit. Dass der Hintergrund des Geschehens mal nicht Paris ist, ist vernachlässigbar, diese Sachen passieren überall, mehr oder weniger. Also gibt man sich gerne mit Lyon zufrieden. Eine Peep-Show, ein paar Mädels für Bühne und Kabinen, eine Puffmutter (hier: Königinmutter), ein, zwei Pimps, ein paar Lokale zum Ausgehen, so weit geht alles seinen Gang. Doch böse Dinge geschehen. Zwei der Mädchen werden eines Tages übel zugerichtet und leider tot aufgefunden.

 

Wer steckt dahinter? Krieg auf dem Kiez? Wie mächtig ist Madame Cheung, die irgendwann mit ein paar von ihren Jungens auftaucht, und erneut das Kiezruder der Stadt in die Hand nehmen will, das ihr vor ein paar Jahren die Königinmutter aus der Hand gerissen hat? Gehören die Morde mit zum Spiel der mafiösen Übernahmeabsichten? Oder muss man nicht eher eine andere Spur verfolgen, denn plötzlich taucht da dieser Victor auf, dieser Unwiderstehliche, auf den alle Frauen abfahren und der sie alle völlig problemlos haben kann. Victor ist natürlich auch ein ganz großes Schlitzohr, schuldet aller Welt Geld und muss deshalb ständig fliehen. Wo verbirgt er sich jetzt, fragt sich bald auch Louise, die hofft, über Victor etwas über das Verschwinden der Königinmutter zu erfahren, denn die hat mittlerweile ziemlich kampflos das Revier geräumt. Glücklicherweise gibt es Mireille, die mit der charmanten Zahnlücke, der ebenfalls niemand widerstehen kann, und da muss man nicht bis drei zählen, um mal so zu vermuten, dass Victor sich bei Mireille versteckt.

 

Dort hat Louise dann endlich ihr Dornröschenerlebnis, ihr Heten-Coming-out. Ihre Neuausrichtung. Aber so, wie das hier geboten wird, kann das vermutlich nur eine Frau schreiben, was die Sache nicht weniger skandalös macht, denn das Wehgeschrei so mancher Leserin war bis hierhin zu hören. Verräterin, Nestbeschmutzerin, Überläuferin, das waren so einige Namen der so Gescholtenen. Und wie auch nicht? Louises Initiation läuft über nichts anderes als eine handfeste Vergewaltigung, die sie lieben lernt. Alte, fundamentale Weisheiten rufen sich in Erinnerung, die Gegensätze, so weit voneinander sie zu sein scheinen, können immer nur zusammen auftauchen und bestehen. Alles ist eins, oder auch: tat twam asi (das bist du). Auf einem solchen Level kann man dann nur mehr schwer diskutieren. Auch Victor lässt nicht mit sich reden. Er geht genauso geheimnisvoll und endgültig, wie er zufällig und spannungsverpackt sich zeigte. Am Ende sind alle auf den Hund gekommen, nur nicht die Polizei, aber vor dem sollte man sich wirklich ein wenig in Acht nehmen. Cave Canem, wie der Lateiner sagt.

 

Dieter Wenk (02.01.)

 

Virginie Despentes, Die Unberührte, Reinbek 1999 (Les chiennes savantes, Paris 1996)