23. August 2005

Kulturkampf in Chemnitz

 

Ich möchte endlich einmal ein Buch lesen, das die WG mit der Würde eines transzendentalen Signifikats belegt, auf dass kein Mensch sei, der nicht durch die Hausordnung dieser Seinsform gegangen ist. Denn wie sollte die Existenz eines Einraumbewohners diesen freimachen können für die Freiheit des anderen. Im anderen. Für den anderen. Und zwar immer anders. Es gibt jedoch noch eine andere Seinsweise, die fundamentalontologisch früher ist als die multiple Bezüglichkeiten erfordernde Existenzform der WG. Es ist eine, so verrät dem Leser der Autor, sogar „logisch“ frühere als die Mutter-Kind-Beziehung, und sie hört auf den Namen „das Paar“. „Das Paar“ geht aber sogar noch, nach den Forschungsergebnissen der „Philosophischen Anthropologie“, die der Autor vertritt, den beiden Gliedern voraus, die „das Paar“ bilden. Erst wenn „Mann“ und „Frau“ ein „Paar“ bilden, werden sie zu Menschen. <?xml:namespace prefix = o ns = "urn:schemas-microsoft-com:office:office" />

 

Das sollte man immer im Hinterkopf haben, wenn man zwischenmenschlich unterwegs ist und sich irgendwie auf andere einlassen muss. Eine kleine, unverdächtige Frage wird einem schon einfallen, um sicherzugehen, dass der andere ein heterosexuell disziplinierter Artgenosse ist. Wenn nicht, sollte man diskret, aber doch so schnell wie möglich weiterziehen. Man hat ganz richtig gelesen. „Das Paar“ besteht aus „Mann“ und „Frau“. Ausschließlich. Andere Einsetzungsinstanzen kennt der Autor nicht. Nimmt sie phänomenologisch zwar zur Kenntnis, doch nur, um ihnen, und zwar von Beginn an, also schon im Mythos altgriechischer Erzählweise, belegt in Platos „Symposion“, eine „gekünstelte Konstruktion“ unterzuschieben. Der Leser darf aufatmen: Es ist nichts mit der Homosexualität. Endlich hat die Geisteswissenschaft mal wieder Ergebnisse zutage gefördert, mit denen man auch im konkreten Alltag prima arbeiten kann. Der „Eros“, den der Autor selbst befragt hat (hierzu muss man allerdings erst Philosophieprofessor werden), schlägt sich leider nicht bei gleichgeschlechtlich veranlagten „Menschen“ nieder, und streng genommen sollte man auch nicht von Veranlagung sprechen, sondern von einem durch das Selbst ermächtigten Exzess, das das vom „Eros“ dargereichte „Schema“ perfide ausschlägt.

 

Ich zitiere ungern aus diesem ideologisch leicht tendenziösen Buch, aber es muss sein, es zeigt den Autor, wie er sich selbst verbiegt, und auch die Grammatik nicht mehr ganz mitkommt: „Für den erwachsenen Menschen gibt es keinen lebendigeren Spiegel als der (sic) Geliebte (sic) des anderen Geschlechts.“ Unabhängig von der expliziten sexuellen Diffamierung durch die hier vollzogene „Paar“-Schematisierung skandalisiert der völlig unterbelichtete Begriff der „Intersubjektivität“, der in dieser Zurichtung ein „inter-imaginäres“ (Lacan) Regime führt und glauben machen möchte, dass „das Paar“ niemals an sich selbst zugrunde geht. Letztlich geht das Buch aber doch über eine – und sei es philosophische – Ratgeberliteratur hinaus. Dekonstruktiv lässt sich nämlich ermitteln, dass der Autor einen dadaistischen Großtext verfasst hat, über dessen erheiternde Passagen man die zunächst moralisch funkelnden Bauklötze in ein anderes Licht gesetzt sieht. Der Leser urteile selbst:

 

„Die Logik des postmodernen Eros findet in den Zyklen der Geldmärkte ihren auch medial erlebbaren Ausdruck. Wie sich nach Max Weber im Kapitalismus das Ökonomische vom Häuslichen und seiner Nahmoral abgelöst hat, so hat es sich in der Postmoderne der Logik des Eros angepasst. Aus dem stählernen Gehäuse der innerweltlichen Askese befreit, bleiben Ökonomie und Eros doch miteinander verbunden. Das Steigen und Fallen der Kurse, für das es kaum hinreichende wirtschaftliche Erklärungen gibt, wird immer mehr zu einem Psychogramm des Eros. Es liefert das Schema für die erotische Selbstdarstellung der Ökonomie, die ein neues Lebensgefühl geschaffen hat.“

 

Professor Fellmann unterrichtet übrigens an der TU Chemnitz.

 

Dieter Wenk (08.05)

 

Ferdinand Fellmann, Das Paar. Eine erotische Rechtfertigung des Menschen, Berlin 2005 (Parerga)

 

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