15. August 2005

Langsamer fahren, länger überlegen

 

Dies ist ein Film, von dem angenommen werden darf, dass ihn geborene oder gewordene Opfer unter die best five ihrer Rangliste eintragen werden. L.A. Crash arbeitet allerorten mit Einklammerungen, die sich aber erst im Laufe der Begebenheiten als solche zu erkennen geben. Um dann jedoch um so sicherer als Funktion mitgeführt werden zu können. Und diese, sehr moralische, Funktion besteht darin, jedem reaktiven Impuls, der sich in einer Notlage aufbaut, den direkten Weg zur Entladung zu versperren. Warum? Es gibt immer viel mehr zu bedenken, als sich in einer einzigen Situation sehen lässt. Wenn man sich klar macht, was dahinter steckt, realisiert man, dass dieser Film eine echte Zumutung ist. Aber nicht deshalb, weil man permanent sein Urteil über die Figuren revidieren muss, sondern weil Paul Haggis unterstellt, dass eine Welt mit einem gewissen Trägheitsfaktor vielleicht etwas lebbarer sein könnte als eine, in der die Hast aus einer kollektiven Logik herausgefallen ist und somit ständig idiotisch Opfer produziert, die nur darauf warten, andere an ihre Stelle treten zu lassen. <?xml:namespace prefix = o ns = "urn:schemas-microsoft-com:office:office" />

 

Auf sehr lustige Weise führen Peter und Anthony, zwei junge Farbige, die Löcher der kollektiven Logik vor, als sie – in Umkehrung der Anfangssituation von „Fegefeuer der Eitelkeiten“ – allen Grund hätten, möglichst schnell aus der sehr feinen Gegend zu verschwinden, in der man ihnen alle möglichen schlimmen Dinge unterstellen könnte. Aber genau damit rechnen sie schon, und ihr Kalkül geht auf. Eine Frau im Beisein ihres Mannes sieht die beiden, antizipiert das, was kommen wird, schweigt aber, um nicht als überlegene Weiße, die berechtigterweise fürchten muss, ausgeraubt zu werden, da zu stehen, wenn sie das sagt, aber nichts passiert. Aber natürlich passiert es. Peter und Anthony zücken ihre Pistolen, und schon ist der schicke Wagen gestohlen. Was hier am Anfang des Films noch sehr lustig daherkommt, nimmt immer dramatischere Züge an. Die Situationen verschärfen sich, der Rassismus tritt immer klarer zu Tage, aber das Urteilen fällt deshalb nicht leichter.

 

Vielleicht bemüht Haggis deshalb eine eher an Wolfgang Koeppen (zum Beispiel in „Tauben im Gras“) als an Robert Altmans „Short Cuts“ erinnernde Verknüpfungslogik, in der ganz banale Gegenstände oder Aktionen wie Türen, das Zufallen von Türen, Autos gleicher Automarken, Leute, die einander sehr ähnlich sehen, eine Rolle spielen, die man gewöhnlich bei der Diskussion der „Rassenfrage“ nicht berücksichtigt. Aber natürlich lässt es sich Paul Haggis nicht nehmen, in Großeinstellungen die kathartische Wirkung beim Zuschauer zu antizipieren. Und auch hier sind es wieder ganz gewöhnliche alltägliche Momente wie auf dem Kopf stehende Autos nach Unfällen und anschließende Rettungsaktionen, die im Lichte zuvor passierter Ereignisse eine ungewohnte Verknotung erfahren und eine transformative Regel erbitten, die an dieser Stelle nicht parat ist. Oder die tragikomische Variante des persischen Seitenflügels mit integrierter Märchenkomponente, wenn Vater Jean, nachdem seine Wohnung demoliert worden ist, sich an dem angeblich Schuldigen, dem Schlosser Daniel, rächen will und zwei weibliche Feen die Situation retten, nachdem die Männer, jeder auf seine Weise, überstürzt gehandelt haben: der eine fliegt aus dem Waffenladen und ermöglicht seiner Tochter, die falschen Patronen zu kaufen; der andere entledigt sich etwas zu früh seines „Schutzmantels“, verschafft aber damit seiner Tochter einen brillanten Märchenauftritt.

 

Am Ende des Films hat man viele umgefallene Autos gesehen, und verstört überlegt man, ob die aktuelle Straßenverkehrsordnung dem tatsächlichen Verkehrsaufkommen noch gerecht werden kann.

 

Dieter Wenk (08.05)

 

Paul Haggis, L.A. Crash, USA/D 2004, mit Don Cheadle, Matt Dillon, Sandra Bullock, William Fichtner, Ryan Phillippe u.a.