12. August 2005

Schweigende Frauen und tiefe Wasser

 

Ein Rückzugsort. Etwa zehn, auf Pontons befestigte, kaum fünf Quadratmeter große und nur etwa schulterhohe Häuschen ohne jede Einrichtung, jeweils in verschiedenen Farben angemalt. Angler steigen dort ab, manche bringen gleich selbst Huren mit. Eine stumme junge Frau kümmert sich um alles. Sie putzt und reinigt die Häuschen, bringt die Angler mit ihrem kleinen Boot mit Außenbordmotor zu den schwimmenden, mit einem Anker befestigten Inselhäusern, verschafft ihnen das Nötigste zum Angeln, reicht Kaffee, und in den meisten Fällen auch noch ihren Körper. Ein Hauch von Ewigkeit und Paradies zieht mit dem Nebel über den See. Streicher im filmischen Off unterstreichen die Herausgehobenheit des Settings. Wie sollte hier etwas passieren. Koreanisches Biedermeier im Spiegel westlicher Retro-Augen. Ein Neuer wird auf eine Insel gebracht. Er bekommt das gelbe Haus. Die Verwalterin fährt dann weiter zu drei Karten spielenden Männern. Sie soll aussteigen. Bezahlen will sie danach keiner so richtig. Sie sagt nie was. Dann bekommt sie ein paar Scheine nachgeworfen. Sie fallen ins Wasser. Sie fischt sie heraus. Schaut grimmig. Der Neue schaut zu. Er hat eine Pistole bei sich. Irgendetwas Schlimmes ist passiert. Vermutlich hat er seine Frau und ihren Liebhaber umgebracht. Später gibt es dazu eine Spiegelszene, wo er, in der gleichen Stellung wie seine Frau und ihr Lover, mit der Prostituierten vom Festland schläft, die ihn ganz gern mag, und die eifersüchtige Verwalterin beobachtet die beiden, indem sie von unten, aus dem „Klosett“ (Analkomik!!) emporsteigt und die Holzluke öffnet. Tote gibt’s auch hier.

 

Aber erst mal muss der junge Flüchtling vor Selbstmord gerettet werden. Kurz bevor er abdrückt, sticht ihm die omnipräsente nixige Vermieterin mit einem Messer, natürlich von unten, vom See aus, in den Oberschenkel. Das tut ganz schön weh, aber immerhin ist man gerettet. Pathetisch fährt die Hure mit ihrem Boot an ihm vorbei. Hallo, du gefällst mir, könnte sie sagen wollen. Aber sie sagt nie etwas. Nur einmal sehen wir sie sprechen, sie telefoniert und besorgt dem jungen Mann unaufgefordert ein junges Luder (weiblicher Masochismus!). Der Verbrecher hat aber gar keine Lust auf sie. Er würde lieber mit der Herbergsmutter schlafen. Die reagiert nicht, als die kleine nervöse Nutte, unbeschlafen, wieder an Land will. Und jetzt lernen die beiden sich ein bisschen in dem gemütliche Häuschen, es regnet außerdem, kennen, er bastelt mit Draht so schöne Sachen. Sie fängt an, ihn zu mögen. Auch weil er sie nicht mag. Inzwischen ist ihr Zuhälter mit seinem Motorrad angereist, stinksauer.

 

Irgendwann später taucht Polizei auf. So bieder ist das Völkchen gar nicht, das die Inseln bewohnt. Wahrscheinlich alles Mörder und Steuerhinterzieher. Tatsächlich, zwei kriegen Panik. Unser Mann, und ein zweiter, der aufgefordert wird, seinen Pass zu zeigen. Er hat keinen. Irrerweise versucht er zu fliehen. Das klappt natürlich nicht, er springt ins Wasser, kriegt eine Kugel ab und wird mit einer Angel an Land gezogen. Unser Mann flieht gewissermaßen nach innen, und zwar mittels Angelhaken, den er schluckt. Die Hurenfee hat’s gesehen und startet beherzt eine Rettungsaktion. Der junge Mann landet im Klo, also unter dem Ponton, sie wischt das Blut auf, das bei seiner Selbstvernichtungsaktion überall herumgespritzt ist, und die Polizei schaut in die Röhre. Danach muss die gute Helferin natürlich Krankenschwester spielen, die Haken sitzen ja irgendwo im Rachen fest, und zu seiner Beruhigung setzt sie sich dazu auf ihn drauf.

 

Auch hierzu gibt es eine Spiegelszene; die Nutte und ihr Zuhälter sind mittlerweile samt Motorrad im See versenkt, die Wirtin will ein bisschen Zärtlichkeit, will mehr sein als Hure, aber der junge Mann will nicht, schlägt sie, tritt ihr in die Genitalien, und sie lächelt ihm verschmitzt verführerisch zu (männlicher Sadismus und erneut weiblicher Masochismus). Das macht ihn scharf, er wirft sich auf sie, kommt schnell. Beide schluchzen. Etwas später verschmäht er sie noch mal, er nimmt das Boot, rudert weg von seinem Häuschen, wo sie sich jetzt die Angelhaken in ihr Loch stopft. Ein riesiges Geschrei. Jetzt muss er Arzt spielen. Am Ende müssen die beiden fliehen (man hat die beiden Leichen entdeckt). In der letzten Einstellung liegt die Frau tot in ihrem Boot, Moos auf der Möse. Eine groteske Anspielung auf Oshimas „Im Reich der Sinne“. Grotesk wie der ganze Film.

 

Dieter Wenk (01.02)

 

Kim Ki-Duk, The Isle, Korea 2000