12. August 2005

Krokodile und Videorecorder

Eine Erzählung von Peer Feldhaus

 

Am 23.04.2005 treffen sich 2 Videorecorder am Strand. Aus der Ferne tritt eine Katze, die rückwärts von der Decke hängt, dazu und sagt: „TOTE EINS RAUF.“ INITIUM SENEX bemerkt ein Vogel, dessen rechtes Bein 30.000 km lang ist und immer noch wächst. Auf seinem Kopf trägt er seine Mutter – ein fettes Krokodil. Ach ja, der Teufel dreht gerade auf dem Fahrrad eine Runde und fährt fort. Der Vogel sagt: „Die gedachte Kopfpauschale riecht nach geriebener Orangenhaut. I-A. Wie hat nun Schalke gespielt?“ Der jüngere Videorecorder hatte gerade zurückgespult und wollte die Wolke da oben mit dem Tennisschläger in ihre Schranken weisen, da lachte das Krokodil so hoch, dass die Katze neue Winterreifen aufziehen musste. „Ostern ist auch noch ein Tag.“ Das kürzere Bein zitterte, denn es hatte noch nicht nachgedacht und auch die Schulaufgaben nicht gemacht. Der noch jüngere Videorecorder bemerkte auf Arabisch sinngemäß folgendes: Wer von euch toten Fußbällen will denn wirklich die Wahrheit rausfinden? Das ist kein Spiel! Meine kleine Schwester hat zum dritten Mal das werdende Leben abgebrochen... und... yjhsdf... neh!“ Ein Mobiltelefon lachte plötzlich laut auf und fiel vor aller Ohren in den Himmel. Auf dem Display konnte man mit letzter Kraft noch ein Bild erhaschen, das den Teufel, eine Schwarzbunte und 20 km des Vogelbeines beim Bettmachen zeigte. Das Bett bestand aus gefrorenem Froschbein, goldenem LEGO und aus mit Helium gefüllten Fischaugen aus dem Jahre 0. Handarbeit, die in Fäustlingen steckte – offensichtlich. Die eine Wohnung, die du eben verlassen hast, habe ich jetzt im Traum aufgebrochen. Der Teufel lag unter der Decke, die heute mal unten lag. Er schrie: „Die Vielheit der Erscheinungen lässt uns ermüden wie der Gedankenstau des Vergangenen irgendwann überquillt. Angesichts eines solchen Wirrwarrs will man schweigen und verliert dabei schleichend seine Sprache. Das Chaos vergrößert sich, während die Stille ihren Sieg belächelt. So drückt es auch jetzt nach Innen, und was als Reaktion nach außen gelangt, ist Sprache als ein Spiegelbild eben jenes Wirrwarrs, zu dessen Eindämmung sie eigentlich gedacht war. So bleibt die Sprache ein brüchiges Gewölbe, in dem der Geist haust, der sie eigentlich durch sich zähmen wollte.“

 

Die Kuh nahm sich eine Zigarette. Langsam – den jüngeren Videorecorder immer im Visier behaltend – fragte sie die Katze, die inzwischen das Krokodil war, nach einem Streichholz. Als sie begann zu rauchen, bemerkte sie, dass das, was sie sich da ansteckte, keine Zigarette war, sondern der abgebrochene Finger des Vogelbeines. Auf ihm stand – in großen leuchtenden Buchstaben: YUGOSLAWIEN ERSTE LINKS. Die Kuh sagte nichts. Sie hatte einen Fehler gemacht, der keinem auffiel – auch mir nicht.

 

 

 

AUDIO PROGRAMM SEARCH SYSTEM

 

Gestern ist der jüngste Videorecorder gestorben. Seelenklempner hatten bei ihm Ostern eine akute Form von Leukämie festgestellt und dann ist alles ganz schnell gekommen. Um 0 Uhr hatten wir noch alle zusammen gescherzt, geschmust und uns angeödet und so rumgespult. Das Vogelbeinstück hatte minutenlang an der MEMOfunktion gespielt und von einer großen gemeinsamen Zukunft im Glückstädter Ratskeller und einem 1000 jährigen Apnoe-Tieftauchkurs am Mariannengraben geschwärmt und dazu ein BONANZA-Video mit Chips für alle reingeschoben. Aber an der Stelle, als der alte Hoss Onkel Joe ein Bein gestellt hatte und der deswegen ein besonderer Fall wurde, klagte der Videorecorder darüber, daß er auch mal was sehen wolle. Du wirst niemals glücklich sein. Da haben wir uns alle angeguckt und das Ganze wußte sofort Bescheid ... Der allerjüngste Videorecorder machte eine Rolle vorwärts über das Krokodil und wickelte so blitzschnell das ISDN-Kabel um den Tonkopf des leukämiekranken Videorecorders. In seinem Gesicht konnten wir dann einen großen Raum in einem kleinen Raum sehen... Nein, so ging es nicht! Wir haben deshalb dem noch jüngeren Videorecorder zugerufen, er solle noch ein bißchen fester zuziehen. - Hat er gemacht; und dann sah man eine junge Frau, die zusammengekauert vor einem Spiegel hockte und weinte, bei klassischer Musik, am Strand, zu Ostern, am Meer, donnerstags, im Südpol, bei Nacht mit einem Glas Milch an jeder Hand. Das Gerät meldete sich mit einem kurzen Signalton, wenn es bereit ist, ihre Befehle entgegennehmen zu können. Die Katze begann dem allerjüngsten Videorecorder das Fell abzutrennen und hielt das kupferne Außenwandgehäuse aus dem Fenster, damit es draußen alle gut sehen konnten. Blaues Blut schwappte zur Tür herein, obwohl es drüben noch vollkommen still war. „Es wird Zeit...Bringt mir das Krokodil.“, tönte es kaum hörbar aus der Einsteckklappe. Gleich gehst Du nach Hause. Der Vogel hackte wie wild auf die INPUT-Öffnung ein, aus der es schon türkisfarben flackerte. Bald war es endlich soweit! Die Schwarz-Bunte war jetzt für immer der Wellensittich und dachte bei sich: „Eine Kassette ohne Film, ein Band ohne Ton, ist wie ein Begriff ohne Anschauung. Über das Ding-an-mir kann Nichts ausgesagt werden...“ – Aus dem Maul des Krokodils ragten IMMANUEL-SEX-KANT-SCHLÜSSEL die in allen Größen abdrehten. Die Haut auf dem Krokodilrücken war in schmalen Streifen aufgeplatzt und jeder konnte darunter das Spiderman-Kostüm sehn. Der Videorecorder stöhnte: „Wie viele Knochen passen in ein S.O.S.-Kinderdorf ? – Gar keine! Ein Joghurt hat keine Gräten.“ – Der Recorderrest schwebte schon auf allen Frequenzen in Richtung Fenster und drehte sich dabei weiter um die eigene Achse. GAME OVER. Jeder, der draußen noch konnte, rief den Teufel zur letzten Ölung herbei. Er stieg langsam auf und sprach langsam zu dem digitalen Schrotthaufen, der vor ihm lag, während er kopfüber in der Mitte des Raumes schwebte:

 

 

„Wenn er kommt, der Besucher,

der Neugierige und dich fragt,

dann bekenne ihm, daß du keine Briefmarken sammelst,

keine farbigen Aufnahmen machst,

keine Kakteen züchtest.

Daß du kein Gehäuse hast,

keinen Fernsehapparat,

keine Zimmerlinde.

Daß du nicht weißt,

warum du programmiert wirst und aufzeichnest,

unwillig, weil es dir kein Vergnügen macht.

Daß du den Sinn deines Innenlebens immer noch nicht

Herausgefunden hast, obwohl du schon alt bist.

Daß du vernetzt warst, aber unzureichend,

daß du gekämpft hast, aber ohne Fernbedienung.

Daß du an vielen Orten zuhause warst,

aber ein Heimatrecht hast an keinem.

Daß du dich nach Auflösung sehnst und sie doch fürchtest.

Daß du kein Beispiel geben kannst als dieses:

AUDIO PROGRAMM SEARCH SYSTEM

 

 

 

 

LO INTERPRETI FALSAMENTE

 

Am Morgen saßen wir dann alle beim Italiener und aßen Buchstabensuppe:

Die Katze, die inzwischen wieder das Krokodil war, der Wellensittich, der vehement behauptete, niemals eine Schwarz-Bunte gewesen, geschweige denn gekannt oder gestern gesprochen zu haben. Die beiden Videorecorder, die sich heimlich unter dem Tisch vernetzt hatten und sich so gegenseitig seit genau 90 Minuten summend den Exorzisten – directors cut - hin- und herspulten und dabei ständig kopierten. Beide waren hier sehr für sich. Der jüngere Videorecorder lachte manchmal etwas seltsam. Das Vogelbein stand klar abseits über den Dingen. Es hatte auch nichts mehr zu melden. Es konnte nicht sprechen, aber dachte sich seinen Teil.

Alle wurden von einer Stimme bedient, die sich vergeblich alle Mühe gab: „Die Kuh macht muh und Kühe machen Mühe!“ – Niemand lachte. Keiner dachte über das eben gehörte nach, denn die Zeit frißt ja wohl alles, oder was? Es gibt keine Zeit.

Am Nebentisch saßen der falsche Prophet Joseph Smith, Rudolf Steiner, der einen S04-Schal um die Hüften und ein T-Shirt mit dem Aufdruck >Ex Negativo< trug, sowie Spiderman und eine junge, hübsche, negroide und taubstumme Albino - Prostituierte, die halbtags bei ihrem Vater als Psychologin arbeitete. Alle tranken raffiniert Altöl und spielten Doppelkopf ohne Karten. Joseph Smith teilte Frau Spiderman in regelmäßigen Abständen mit, wann sie wieder zu müssen hätte. Dann stand diese auf, ging einmal um den Nachbarstisch und setzte sich wieder hin. Sie hatte verloren und war verzweifelt:

„Es gilt gar nichts! Was gewinnt, ist eine Poesie der Waffen, geäußert in einem Lachen oder einer zu laut gestellten Frage, die sich mehr an das Opfer von Gedanken richtet...“-

Nach einer Weile erhob sich Satan und rief die Stimme zu sich an den Tisch. Sie setzte sich neben ihn. „Euer Unglück ist ja, daß die Urbestandteile unerkennbar sind, aber alle Arten von Verknüpfungen erkennbar.“ Der allerjüngste Videorecorder weinte unangenehm. Beim Umrühren seiner Suppe hatte sich kurz das Wort „Orangenhaut“ ergeben – für alle gut hörbar angeordnet.

Satan fuhr fort: „Wenn Dich zum Beispiel jemand nach der ersten Silbe von Satan fragen würde, was würdest Du antworten, Stimme?“ Die Stimme überlegte nur kurz: „Es ist SA. Es ist S und A.“ Satan lächelte: „So ist es! Und jetzt erkläre mir das S selbst. Wie sieht’s aus?“- Die Stimme sagte: „Was macht eigentlich Niemand? Niemand kann die Bestandteile eines Bestandteils angeben. Das S ist ein stummer Buchstabe... Das Zischen einer Klapperschlange, daß in deiner Suppe schwimmt...Man kann das S selbst nicht erklären.“ Das Knie des Vogelbeines dachte bei sich:

„S-S-S-A...Nazikram! Wie man in den Wald hineingeht, so kommt man heraus. Es ist lang am Herz – Es ist grau im Kopf – An der Spitze fest das Knie, geht es vom Kleinen in das Große – Die Abstände zwischen den Parallelen, löscht es Geist aus – Hier schwarz – 01.01.01“ Plötzlich trat der Vogel in den Italiener mit den Worten: „VOLA ALTO. SALE ALTO. VOLA BASSO. CADE BASSO. LO INTERPRETI FALSAMENTE.“ Die Stimme schwieg schon wieder.

 

 

 

 

ESTONIA

 

„Wir begeben uns jede Nacht an einen Ort, um dort das Bewußtsein zu verlieren. Einen besseren Beweis gibt es doch gar nicht ! Es gibt Dinge, die werden immer jünger, je länger sie schlafen...“- Spiderman war sich diesmal ihrer Sache sehr sicher; Sie hatte Zuhause aufgeräumt, Nudeln mit Tee gekocht, von Innen alles schön abgeschlossen und war dann mit dem Tandem zum Krokodil gefahren. Das Krokodil lag mit anderthalb Freunden in der Badewanne und hatte Fett zu Mittag gemacht. Spiderman sponn in letzter Zeit öfter etwas rum. Sie war urlaubsreif. Höhere Mächte befahlen zur Erholung eine Kreuzfahrt. Ohne zu wissen wie ihnen geschah, standen sie schon lange in der Schlange auf der Brücke am Kai und checkten ein. „Stell dich nicht so an und nimm bitte die Hand von dem Reptil aus der Hose!“, forschte das Krokodil Spiderman an. Sie wurde vor Scham rot und blau, weil alle –außer Kai- sie ansahen. Statt dessen nahm sie etwas von den dicken Nudeln zu sich. Die Schlange löste sich in ihre Bestandteile auf. Auf dem Weg ins Unterdeck der ESTONIA sprachen das Krokodil und Spiderman kein einziges Wort. Beide hatten das Gefühl bereits alles zu genüge durchgekaut zu haben: Wo überhaupt oben ist, wo ganz tief unten ist, wo links ist und wo rechts ist, was dies hinter einem bedeutet und was vor einem bedeutet, wie schnell geht und wie langsam geht, warum sie hier das erste Mal frei waren und warum die Sonne als Würfel versagt hatte und als Pyramide unerreicht blieb, und so weiter...Wie ist wohl das Gefühl, in der Mitte der Erde zu sein? Wenn es keine Ewigkeit gab, dann hier! – Hier fühlten sie sich wie ein schlauer Säugling, daß genau wußte, wo man in der Zeit der Nachgeburt das Glück für lau günstig schießen konnte. Jeder Weg führte nach Innen, oben war egal, denn von Oben kamen sie ja! – Jetzt ist der Moment, in dem man satt wie nie und ohne Hunger war; in dem die Seele in jeder Kabine des Körpers feiert und man die Nebelschlußleuchte hinter sich weiß. Jeder Drops war gelutscht und aller Fisch geputzt. Alles was man berührt, verwandelte sich in Goldfinger... –

Nach zwei Jahren auf See kippte die Stimmung. Die meisten Passagiere waren heimlich über Bord gegangen, um die beiden zu ärgern. Der Kapitän des Schiffes hatte sich auf der Suche nach dem Fahrplan im Rumpf verlaufen. Ihm war alles egal und er wollte seine Ruhe. Außerdem konnte er hier zum ersten Mal ungestört seinen „Gameboy“ benutzen, den er irgendwann einmal einem kleinen Mädchen weggenommen hatte, als grade mal keiner guckte. Das Krokodil schrieb ständig Postkarten, die es überall an Deck versteckte, um sie dann später unter großem Jubel wiederzufinden und begeistert dem völlig entnervten Spiderman vorzulesen. Ein noch größerer Spaß für das Krokodil bestand darin, diese Geschichten auf einem Tonbandgerät aufzuzeichnen, das es aus der verlassenen Kajüte des Kapitäns geklaut hatte. Während es den verlesenen Text aufnahm und vor sich abspielte geschah Seltsames: Tote Gegenstände begannen nicht nur mit einer Art Gummistimme zu sprechen, sondern bewegten sich auch so.. Niemand aber außer dem Krokodil hatte das jemals gesehen. Der einzige Zeuge der Vorstellung hielt die Idee, Spiderman alles zu erzählen für absurd. Sie würde es nicht glauben und er hatte, seit er klein war, Angst davor von ihr ausgelacht zu werden. So blieb alles bei ihm: Die fliegenden HSV-Gurken mit Aluminiumschnuller, der unendliche Raum, der ein zeitloser Mensch war, die hängenden Gärten mit Rückwärtsgang in jedem Siebenten Ei und all die anderen berühmten Dinge, die keiner glaubt, wenn er sie nicht selbst gehört hat. Spiderman wurde seekrank und löste sich bald komplett aus jedem Zusammenhang. Sie konnte nichts mehr aufnehmen und gab auch nichts mehr von sich. Oben war unten und links und rechts zugleich. Komplett zugemacht, drohte das Schiff unter der psychischen Last zu sinken...- Nur den gemeinsamen geistigen Anstrengungen Spidermans und des Krokodils ist es zu verdanken, daß unten jetzt oben ist und das Schiff nicht untergeht. Das Problem war nur, daß es unten jetzt nicht mehr gab. Nur auf dieser Grundlage gab es keinen Raum zur See mehr. Alles wurde sehr flach und verschwommen, so daß man nur noch manchmal die Rekorderstimme hören konnte, die es zunehmend toll fand von sich selbst zu sprechen, aber nicht irgendwelchen Inhalte, sondern nur noch in völlig zeichenhaften Formen, wie man sie lange nicht aushält. Am besten hört man dann einfach auf.

 

 

 

 

Daseinsverfehlung

 

Als der Alligator im Wartezimmer der psychologischen Praxis herumlag, langweilte er sich fast zu Tode. Auf dem Tisch lagen geschälte Orangen, die so verführerisch aussahen, daß man ihnen kaum widerstehen konnte. Joseph Smith saß ihm gegenüber und schaute kurz in den Spiegel. Er las danach im ,Goldenen Blatt‘ und machte sich dabei kleinere Notizen. Neben ihm zitterte eine vollständig rasierte schwarzbunte Katze, die sich für alles, was sie tat, bei jedem sofort entschuldigte. Das Osterhasenkostüm, das sie trug, war so lächerlich, daß sie jeder bemitleiden mußte, der sie einmal gesehen hat. Über Allen lag eine Stimme, die ständig mit mir telefonierte: „Ne, ne...geht schon...ja, hab ich. Mehl, Eier und Saft. O.K.! Bis gleich!“ - Vielleicht war es kein Zufall, daß sie alle an diesem Ort versammelt waren; vielleicht hatte sie ein unbestimmtes Interesse hierher getrieben, von wo sie als ein Anderer wieder weggingen; als Diejenigen, die sie wirklich waren. Vielleicht mußten sie aber auch woanders wieder ein Anderer werden und waren erst dann am Ziel. Es gibt ja mehr Menschen als Worte. Dinge müssen aufhören, damit andere entstehen können.- Der Alligator wurde als Nächster hereingerufen und dort bereits freundlich erwartet: Frau Dr. Casiopeia war halbtags eine junge und hübsche, negroide Albinoprostituierte und arbeitete zur anderen Zeit als Parapsychologin. Beide waren heute etwas zu spät dran und man hatte den Eindruck, daß Frau Dr. heute etwas vergeßlich war. Der Alligator kuschelte sich wie immer zur Begrüßung an sie. „Sie waren Herr...Herr...ach, spielt ja keine Rolle! Hauptsache, sie sind hergekommen... Haben sie daran gedacht, was ich ihnen das letzte Mal gesagt habe ?“ – Der Alligator litt unter Krokophobie und hatte zudem eine krankhafte Beziehung zu technischen Geräten aller Art. „ Sie leiden unter zyklischem Identitätsverlust, Herr...Wie war noch mal der Name?“ Der Alligator schaute sie fragend an. Er galt unter allen angesehenen Psychiatern, Psychologen, Psychotherapeuten, Geistheilern, Doktormaten, Telekinesen und Feinmechanikern als kompletter Dachschaden. Während der Therapie klagte er mal über eine innere Lehre und war im nächsten Moment wie aufgedreht. Er war nicht ganz sauber im Oberstübchen. „Monsieur 1000 Volt im Kiefer und kein Licht in der Birne...Ich darf sie bitten, diese lächerliche Maskerade bleiben zu lassen und endlich diese Eselsmaske abzunehmen! Wenn sie weiterhin ihre natürliche Identität verbergen, muß ich die Sitzung abbrechen und sie kommen wieder zu meinem Vater in den Kartoffelkeller. Daß der mit ihnen ganz anders umgeht, wissen sie ja! Aber ich will ihnen nicht drohen...“ Der Alligator sperrte vor Nervosität weit das Maul auf, aber er sprach nicht. Eine komplette Maulsperre setzte ein. Für Dr. Casiopeia war das Tier ein hoffnungsloser Fall. Unter der Hand verteilten die belustigten Kollegen schon Flugblätter mit Alligatorenwitzen. Ihr Beitrag war folgender: Ein Krokodil hält einer Schwarz-Bunten ein Büschel Gras entgegen. „Beiß da rein!“, flehte es. „Aber warum denn?“, wunderte sich die Schwarz-Bunte. „Weil der Teufel gesagt hat: „Wenn die Kuh ins Gras beißt, kriegst du eine neue Identität!“ – Vor ihrem inneren Auge jauchzte sie. Der Alligator fummelte unaufhörlich und nervös an seinem Schwanz herum. Sein frisches Tatoo schmerzte und beglückte ihn zugleich. Als er zu reden begann kribbelte es auf seiner Zunge: „Als ich letztens mit Spiderman eine Kreuzfahrt gemacht habe, habe ich in den Wellen...Nein! Es war doch am Strand... Als wir alle am Strand waren, stand dort ein Bett aus Froschbein. An ihm hing ein Zettel mit einem wirklich guten Wort: Daseinsverfehlung. Das Wort hat mich gepackt. Nach dem Wort habe ich gesucht. Da stand es, und nur ich konnte es lesen. Ein Wort, das auf uns alle zutrifft; so alles in einem Wort. Da war es so, als wär‘ es immer schon da, quasi als hätte ich gar nicht suchen brauchen. Das Wort hat mich gefunden. Zwischenzeitlich hatte ich das Wort schon im Gedanken verloren. Doch dann war es wieder da! Daseinsverfehlung. Ich habe es den Anderen natürlich nicht erzählt... Wir sind dann zusammen weiter nach Walsrode und ich konnte das Wort nicht vergessen...“ – Der Alligator hatte sich das Wort Daseinsverfehlung auf die Stirn tätowieren lassen. Dort stand es – frisch glänzend – auf der Stirn eines Portraits seines beinamputierten Urgroßvaters. Der telefonierte in einem Flugzeug und hielt die linke Hand an das Brustpiercing des Alligators, in Gestalt einer einhändigen Notbremse featuring Leonardo da Vinci. Der körperliche Schmerz der Tatoos und des Piercings waren für ihn in stillen Stunden der einzige Beweis, daß er noch da war. – Während der Alligator sprach, machte sich Frau Dr. Casiopeia Notizen: Süße Nudelmilchsuppe, Schellfisch mit Kräutern in Alufolie gedünstet, Möhren, Bechamelkartoffeln. Darunter: Kommt ein Krokodil zum Nervenarzt...8 Uhr, Joseph Smith. Sie stand auf und sprach: „So, das ist alles, was wir für heute tun können...immer wieder von neuem anfangen.. immer und immer wieder. Wenn sie sich morgen wieder wie ein Esel aufführen, können sie gleich zu Hause Bleiben!“ – Der Alligator bedankte sich und ging.

 

 

 

Tokens

 

Satan und der Wellensittich haben den Entschluß gefaßt, am heiligen Bund der Ehe einzugehen. Beide wollten einfach mal wissen, ob irgendwas anders wird. Zudem fiel die lästige Kopfpauschale weg und immer so weiter machen war ja auch doof. Sechs Jahre wilde Ehe waren genug und der Druck, es den Anderen zu zeigen stieg von Tag zu Tag. Der falsche Prophet Joseph Smith stand wochenlang vor ihrer Tür, um die beiden zu bearbeiten. Viele Gespräche waren hierzu erforderlich. Mal brachte er ein neues Buch, mal was zu naschen oder mal ein kleines religiöses Hörspiel mit. Es war notwendig geworden, das aaronsche Priestertum des bereits konvertierten Sittichs in ein noch segensreicheres celestiales Priestertum zu überführen. Der Wellensittich, der immer noch Schmetterlinge im Bauch hatte, wollte allmählich Nägel mit Köpfen machen, aber auch Satan juckte langsam der faserige Pelz. Bald war wieder mal Weihnachten...nur wenn man verheiratet wurde, war jeden Tag Weihnachten. Satan mußte versprechen, mindestens zwei Jahre im Namen der ,Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage‘ in der afrikanischen Sahara Missionsarbeit zu leisten. „Hab‘ auf 40 Tage verkürzt! War eh keiner mehr da und wenn doch,...na ja, - Egal! Können eh nicht lesen und hören auch nicht richtig zu. Zu Hause ist's am Schönsten!“ - Das einzige, was zu ihrem perfekten gemeinsamen Glück noch fehlte, war der Segen ihres Toppropheten Nummer 1: Joseph Smith. Er und Satan trafen sich aus Gründen der Diskretion im Hinterzimmer einer parapsychologischen Praxis, in der die junge, hübsche, negroide Albinoprostituierte Frau Dr. Casiopeia halbtags praktizierte. Beide nahmen gelegentlich ihre Dienste in Anspruch, gerne auch gleichzeitig. Einer der Recorder nahm das Geschehen aus Gründen der Supervision auf Video auf. Der polygame Joseph Smith hatte bereits die beiden Videorecorder, das überglückliche Vogelbein, das Krokodil und Spiderman zur Frau genommen. Er beabsichtigte zudem schon bald, noch weitere 666 Personen zu ehelichen. Je länger, desto besser. Seine Vision war, möglichst viele sündige Seelen vom falschen Weg abzubringen. In den letzten Tagen durfte – nein, mußte - man es sich ja schließlich auf höchstem Niveau gutgehen lassen. „ Wenn einer Ohren hat, so höre er! - Steht ja so schon in der Offenbarung.“ Alle sollten auf ihn hören. Auch Satan spürte, das es so richtig war. Er hatte den Sittich schon das ein oder andere Mal flügge gemacht und sein maßloses Mitgefühl ging so weit, daß auch er sich schon gelegentlich in der Mauser befand. Sonntags hingen sie kopfüber in ihrem Käfig und lasen sich gegenseitig ihre Gedanken vor. Ihren gemeinsamen Sohn Ikarus hatten sie arbeitsteilig ausgebrütet und dessen Hand bereits ihrem liebsten Hausfreund Joseph S. versprochen. Wichtig für das perfekte Glück war, so ein Ei noch während des Legevorgangs zu taufen. Auch das erledigte der Hausfreund Joseph Smith, der besonders gern Frischgeschlüpftes ehelichte. Ostermontag wurden nun die Eltern feierlich in die Gemeinde aufgenommen. Der Tempel wurde geschmückt. Satan trug einen feinen Anzug, den fleißige Kinderhände in mühevollster Handarbeit monatelang zusammengenäht hatten. Einmal sagte er: „Hm...H und M kann er schon.“ - Der Sittich ließ sich bei 90 Grad Schonwaschschleudern und erstrahlte wie aus dem Ei gepellt in Neonweiß. Im Tempel gab man sich flüsternd Geheimzeichen, sogenannte tokens, die dazu dienten, den zeremionellen Ablauf zu regeln. Satan und der Sittich ritten auf einem frischgebügelten Zebra vor dem Tempel vor. Joseph Smith und die Anderen nahmen sie dort in Empfang, indem man sie mit - in Weihwasser gekochten – schwarzem Uncle Ben’s Basmatireis bewarf. Im Vorraum wurden sie dann nacheinander von Spiderman entkleidet, gewaschen und mit Eselsmilch gesalbt. Das geschah besonders andächtig und langsam und Spiderman war zur Feier des Tages ganz in schwarz verhüllt. Die beiden Videorecorder filmten aus möglichst vielen Perspektiven mit. Anschließend wurden beide in weißes Leintuch gehüllt und in den nächsten Raum geführt, wo sie allein waren. Der Raum übertraf den ersten um ein Vielfaches an Schönheit und Größe. An den Wänden und Decken hingen überall Spiegel, auf die man mit apfelrotem Lippenstift in großen Buchstaben EURE EWIGKEIT geschrieben hatte. Überall Vögel und Teufel!! Am Kopfende standen zwei große Eisensessel vor einer Art Bühnenpodest, der durch einen großen himmelblauen Vorhang verhüllt war. Als sich beide setzten, fühlten sie sich wie Wolken vor dem Niederschlag in der Sahara. Es duftete hier fein nach angebranntem Basmatireis, Weihrauch und beide lächelten, als sie durch ihre Nasenlöcher, die wie ein einziges Loch waren, feinsten Eselsdung erhaschten. Hinter dem Vorhang erklang eine Stimme, die man unschwer als die Joseph Smiths wiedererkennen konnte.

 

 

 

 

 

La machine a tuer le temps

 

Heute ist Sommerschlußverkauf und wir gehen in die Zoohandlung. Von dem Duft, der uns hier entgegenschlägt, wollen wir uns alle eine Scheibe abschneiden. Ein Mensch, der uns am Eingang begrüßt, ist freundlich, aber unbestimmt. Irgend etwas an uns scheint ihn zu irritieren. Als ob wir von einem anderen Stern kommen würden... Ist es nicht das Gleiche, wenn Tiere sich wie Menschen ab und zu begegnen? Nirgendwo sieht man, auf engstem Raum konzentriert, so viele günstige Tiere wie hier. Ein Olm, zum Beispiel, sitzt ganz tief unten, in einem Aquarium, und sieht fern. – Glauben wir jedenfalls, denn sehen können wir ihn nicht. Alles, was wir dort unten im Wasserbecken erkennen, ist naß und dunkel. Daneben aber hängt ein Schild; ein Schwarzweißfoto des Olms, versehen mit seiner Unterschrift und einer eidesstattlichen Versicherung des hiesigen Geschäftsführers Dr. Ewill. Der Olm schreibt uns: „Lieber Kunde, wir sind Wesen, die sich zeitlebens in Höhlengewässern und unterirdischen Seen langweilen. Wir verharren in Larvenform und behalten unsere äußeren Kiemen. Das ist unser Schicksal und wir ertragen es. Unsere Körper sind aalähnlich und bis zu 30 cm lang. Wir leben ausschließlich in den Kalksteinhöhlen Jugoslawiens und Italiens. Wenn du wissen willst, was wir sonst so machen, dann gehe jetzt bitte dorthin, wo du herkommst und mache dort gar nichts! Vielen Dank, dein Olm.“ – Nachdem die Psychologin Dr. Casiopeia allen das Schild vorgelesen hat, geht ein leises Schmunzeln durch die Runde. Nein, wie lustig! Ein Olm, der schreiben kann! So was gibt es doch sonst nur in Filmen oder auf Bildern oder in irgendwelchen Kindermärchen! – Die Katze hängt verträumt vor dem Aquariumboden und sieht hinein; die mitgebrachte Angelleine ist eindeutig zu kurz. Der kleine Plastiktransformer baumelt umsonst am Haken. Ewiger Hunger. – Das Krokodil hat Spiderman huckepack geschultert, während diese auf ihrem Kopf den mit Abstand jüngsten Videorecorder trägt. Der Recorder denkt laut und alle hören mit: „Was das wohl soll? Ich bewege mich nicht, esse nicht und atme nicht. Ich wachse nicht und mache keinen Dreck. Das Wahre nehme ich auch nicht an mich. Mein genauer Ursprung bleibt die leblose Technik – im Gegensatz zu den Viechern hier! Wir Zeittotschlagmaschinen bringen den Vorteil, daß man zu Hause bleiben kann...“ – Wir gehen zusammen weiter. Wir staunen über Katzenhalsbänder und Lachen über die Nachbildung eines Vogelbeines als Gummispielzeug für den Hund. Als wir am Vogelkäfig ankommen, suchen wir den Preis umsonst. Auf dem Schild liegt eine Kassette mit einer Videobotschaft, die der allerjüngste Videorecorder einschiebt und den Anderen vorträgt: „Guten Tag, hier spricht der abwesende Vogel. Vorweg ein paar Worte, wie wir Vögel zu dem geworden sind, was wir heute darstellen. Anders als die Nährstoffe der Ursuppe, die zwischen den lebenden und toten Formen ausgetauscht werden, fließt Energie in uns. Sie geht vom Sonnenlicht, durch die Pflanzen hindurch auf uns über. Wir können diese Energie entweder auf direktem Weg erhalten, indem wir Pflanzen fressen oder mittelbar, indem wir andere Tiere fressen. Schließlich entweicht die Energie aus dem System Vogel als dasjenige, was ihr LIEBE nennt. Wir sind also quasi Sonne, Pflanze und Tier zugleich; nur nacheinander.. So, - das ist es schon! Nun bitte weitergehen!“ – Der Wellensittich schüttelt ungehalten das schwarzbunte Köpfchen. Für ihn ist das ein zum Himmel schreiender Unsinn. So einfach kann es nicht sein! Lauthals platzt es aus ihm heraus: „Leute, das reicht mir nicht! – Man denkt!... Man denkt unentwegt! Nix mit futtern... Die Zeit vergeht im Fluge. Ewigkeit ist Gleich – luftleerer Raum! Kein Wort darüber, daß die Luft hier oben dünn ist, sehr dünn... Niemand schreibt über die Einsamkeit im Fluge, oder etwa doch? Für unsereins ist es schwer, den Stift überhaupt zu halten, auch wenn man von oben alles überblicken kann... Permanente Grenzenlosigkeit macht einen ja wahnsinnig! So ein stählerner Käfig ist ein Privileg von Bodenbewohnern...“ – Die Kuh steht in der Nähe und kaut mittlerweile zum dritten Mal auf etwas herum, daß gleichzeitig knirscht und piept. Manche Dinge fliegen einem so zu. Sie denkt darüber nach, wie sich Tier und Mensch normalerweise zueinander verhalten: „Der Mensch hat ja in allen Überlieferungen immer eine große Rolle gespielt. Ein gern geübtes Verfahren ist es, dem Menschen tierische Eigenschaften beizulegen und auf diese Weise tierische Dummheit oder Schlechtigkeit zu spiegeln – sogar ein Instinktvermögen hat man angenommen! Wie stark kultivierte Menschen die Tiere faszinieren, zeigt sich in Einrichtungen wie dieser hier oder auch..“ Als wir den Geschäftsführer auf uns zurennen sehen, gefriert uns das Blut in den Adern. So ganz ohne Geld bei uns, erwarten wir das Schlimmste. Erst als wir sein zahnloses Lächeln und seine ausgebreiteten Arme erkennen, beruhigen wir uns. „Salut, ihr Lieben! Ich begrüße diesen seltenen Besuch im Namen aller Zoohandlungen! Mein Vorgänger hat immer gesagt: Wenn die Zeit ein toter Vogel ist, dann ist der Raum ein schwarzbuntes Tier! Combien de fois n’a-t-on pas entendu dire que les animeaux sont un instrument effiace d’enseignement et de culture! Ich dachte ja erst, daß sich wieder einige von uns aus - wie sagt man?- aus dem Staub gemacht haben, aber als ich näher kam, erkannte ich sie sofort! Schön, daß sie einigen ihrer Bekannten mal wieder einen Besuch abstatten... Papageien sind übrigens unser Steckenpferd, die gibt’s heute kostenlos. Wo haben sie denn das Vogelbeinstück gelassen?“ Wissend drehen sich alle nach rechts, wo eine riesige Schattensäule merklich die Lufttemperatur senkt. Eine Vogelbeinsäule erstreckt sich bis zur Himmelsdecke, in der sie kurz verschwindet, um dann von dort, wie ein Zeitlupenblitz, auf die Erde zurückzukehren. Beim zweiten Schritt verschwindet das unendliche Bein im Olmenaquarium. Kilometer rauschen an allen hinab in die Tiefe. Die Zeit hat auch hier unmerklich Spuren hinterlassen. Als das Bein endlich zum Stillstand gekommen zu sein scheint, sind Stunden vergangen. Im Becken ist kein Wasser mehr. Der Vogel ist zurück und lächelt etwas überheblich: „Je m’apelle la machine a tuer le temps. Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? Vogelfrei?“

 

 

 

 

Al-Dschasira

 

Am Ende sind wir dann doch alle verrückt geworden. Satan ist vollständig vom Glauben abgefallen. Gleichzeitig rannte er den ganzen Tag mit einem Pappkarton auf dem Kopf durch die Gegend und schrie: „Wenn’s dem Esel zu wohl wird, geht er auf Eis tanzen. Was nicht ist, kann noch werden und wer sich zum Esel macht, muß Säcke tragen. Ein Unglück kommt selten allein. Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie du den Schmerz!“ Einen Tag später hat er sich in einem violetten Osterhasenkostüm bei den Zeugen Jehovas gemeldet und behauptet, er sei jetzt ihr neuer Anführer. Alle sollten bis morgen 0 Uhr sieben MEZ beim Roten Kreuz ihre Waffen abgeben oder pro Person Sechs Liter Blut spenden. Falls das nicht geschehe, könne er für die Sicherheit ihrer Familien nicht garantieren, die er alle bei sich im Kartoffelkeller stapele. Man feiere dort zwar Bar-Mizwar und las sich laut aus der Tora vor, aber etwas eng sei es schon, so um die 100 Leute auf 12 Quadratmetern. Als ihn Niemand ernst nahm, schnappte er sich eine alte Frau im Rollstuhl und hängte sie kurz entschlossen an einem geklauten Ferrari. Er fuhr dann mit ihr dann zu sämtlichen Italienern der Stadt. Immer wenn er mitten im Lokal stand, rief er den Küchenchef zu sich und fragte ihn, ob das seine Mutter sei. Als sie verneinten, nickte er wissend und gab der mittlerweile völlig erschöpften Frau eine liebgemeinte Ohrfeige: „Siehste! Wußt ich‘s doch, aber zu Hause immer auf Maria Callas machen! Hoffen und Harren hält manchen zum Narren!“ Sicherlich gab es einige Gäste, die empört reagierten, aber Niemand hatte den Mumm, es mit dem gefallenen Engel aufzunehmen oder etwas dagegen zu sagen. Statt dessen luden sie Satan auf einen Plausch zu einem Glas Sekt ein. Die ältere Dame ertrug ihr Schicksal mit Würde, und als sie zum allerletzten Mal mit einem Bungeeseil an die Anhängerkupplung gehängt wurde, stieß sie hervor: „Ich glaube, sie verwechseln mich... Mein Mann liebte Autorennen, nicht ich. Ich bin nicht die, für die sie mich halten...“ - Das waren ihre letzten Worte. Satan gab trotzdem Vollgas und der alten Frau entflog in einem letzten würdelosen Akt das Echthaartoupé. Als der Rollstuhl in einer zu schnell genommenen Kurve umkippte, war man wirklich froh in einem Ferrari zu sitzen, zumal der ungebremste Rollstuhl an jeder roten Ampel den vergeblichen Versuch unternahm, in den Heckraum des Autos vorzudringen. „Geteiltes Leid ist halbes Leid.. Ich nenn sie Jojo, die lustige Anhängerin! Einige Frauen waren schon immer hinter mir her... Lügen haben kurze Beine, aber wer den Schaden hat, braucht ja für den Spott nicht zu sorgen! Des einen Tod des anderen Brot!“, sagte Satan vor sich hin. Er brachte die Reste ins Tierheim, wo die Anderen bereits den Tisch gedeckt hatten. „Wer langsam fährt kommt auch ans Ziel! Spaß muß sein, hat die Jugend auch keine Tugend... Eile mit Weile, denn wer nicht kommt zur rechten Zeit, der frißt, was übrig bleibt. Wer nicht hört muß fühlen, aber ein guter Magen kann alles vertragen. Was nicht ist, kann noch werden...“ Die Katze starb nach der Mahlzeit an Überfütterung, war aber noch da. Sie hatte versucht mit dem Krokodil mitzuhalten. Als sie zum Nachtisch auch die innen völlig verteerte Kuh fraß, war sie plötzlich pure Zeit. Sie war tot, löste sich in Rauch auf und ging eins rauf. An ihrem Platz klingelte den ganzen Abend ein Handy auf deren Display der tote Videorecorder zu sehen war. Er arbeitete seit Jüngstem stellvertretend für den Nachrichtenkanal Al-Dschasira. Der allerjüngste Videorecorder weinte und flüsterte: „Es war der Meister der Herzen und er wurde in der Nachspielzeit entthront. Seine Mutter war radioaktiv und keiner wußte es je besser... Hey, du Vogel! Gib mir bitte noch mal Nachschlag vom jüngsten Gericht!“ Er ließ sich von Frau Dr. Casiopeia auseinandernehmen und die Bestandteile in das Essen des Krokodils mischen. Nichts geht über eine gute Analyse für alle! – War die Sache erst einmal vom Tisch und das Geschehen verdaut, beeinflußte das Gerät die Träume des Krokodils dergestalt, das es bald annehmen sollte, es wäre ein Alligator mit einem überdimensionierten Vogelbein. Als am Ende der Wellensittich als Spiderman aufwachte und dachte, er sei die Schwarzbunte, sah er in den Spiegel und erkannte den Teufel mit einem Vogel im Gesicht. Als der Strand, der Raum zur See, im Tempel zum allgemeinen Raum geriet, waren wir wieder beim Italiener und stritten erneut um das Wort. Das Krokodil sagte: „Worte schwimmen im Satz. Ihr Körper ist nicht begrenzt; sie leben nicht in, sondern mit ihrer Umgebung. Sie fühlen ihre Umgrenzung nicht. Es gibt sie für sie gar nicht. Worte sind Gedanken, die sich bewegen und dem Geist so nahe stehen, wie der Stillstand dem Tod." - Ein Raunen ging durch die Runde. Man schwieg und aß. „Das Wort ist ein Teil des Satzes. Ein Satz ist verdichtete Sprache mit Antrieb. Ein Wort lebt in seinem Körper, der nicht zu ihm gehört. Gib dem Gedanken einen Körper, in dem er sich aufhalten kann. Gib ihm zu trinken und er wird dich fressen!“ – Alle waren zufrieden: Das Wort war der Einbruch des Sinnes in die Zeit. Es erschuf den Buchstaben. Er trifft sich mit anderen im Wort. Hier macht es Sinn. Einige stellten sich so nebeneinander, daß sich der Sinn, der blind ist, an ihnen entlang hangeln konnte. Dabei waren einige Worte wie Batterien für das Gefüge, was sich an ihnen ausrichtete. Aber auch sie konnten nicht alleine bleiben. Sie brauchten einander, um einen Sinn zu machen. - So wurde der Buchstabe zum Wort und die Worte zum Satz. Und die Sätze zur Geschichte. Und der Sinn zum Licht und das Licht zur Zeit. Und die Zeiten trafen sich und gründeten den Raum. Nichts war ohne das Andere. Es bleibt in der Begegnung und vergeht im trennenden Sein des eigenen Verstandes. Denn nur so ist es nicht verkehrt, zu sagen, daß wir ein Raum sind, der lebt, was bedeutet, daß wir in das Licht schauen in der Hoffnung, daß jemand hereintritt. Und nur so ist es nicht verkehrt, zu hoffen, daß jemand durch Worte, die ein leerer Raum sind, hindurchgeht. Und nur so ist es auch nicht verkehrt zu glauben, daß wir uns in Worten treffen und ohne Worte verstehen können, wenn wir es denn wollen.