11. August 2005

Somnambulismus bei der Arbeit

 

Die beste Szene dieses doch sehr lausigen Agentenfilms gibt es gleich am Anfang zu sehen, in der bewiesen wird, dass auf exotisch tanzende Frauen recht unterschiedliche Verhaltensweisen möglich sind. Während der männliche Teil eines Ehepaares, das den besten Teil ihres Daseins schon lange hinter sich hat, sich zurecht den Zorn der Gattin zuzieht, wenn das Fernglas, von männlicher Hand geführt, mit detektivischer Genauigkeit den Körper der Tänzerin, Mata Hari, abfährt, so machen sich andere beispielsweise das Vergnügen, die körperliche Form des Objekts der Begierde mehr oder weniger scharf aufs Papier zu bringen, während wiederum ein Solitär, ebenfalls mit einem Blatt Papier bewaffnet, Zahlen notiert, die er fein säuberlich in Kolonnen anordnet.

 

Diese Seltsamkeit wird sofort aufgeklärt, denn natürlich ist man nicht im Irrenhaus, sondern im Alcazar, einem mondänen Lokal, in dem die Fingerübungen der Tänzerin einen Zahlencode darstellen, der sich, wenn man’s weiß, kinderleicht übertragen lässt. Jeanne Moreau als Mata Hari sieht in manchen Momenten des Films unglaublich gut aus, aber eine begnadete Tänzerin ist sie nicht. Ihr fehlt das Leichte, Spielerische. Das gilt auch für die meisten anderen Situationen, die der Film vorführt. Richard zeigt sie nicht als finstere femme fatale, sie scheint immer eine Last mit sich herumzuschleppen, von der man bis zum Ende des Films nichts erfährt. Vor allem enttarnt der Film sie als schlechte Agentin, die abgesehen von ihren fraulichen Reizen nicht viel mehr zu bieten hat. Das ist ein bisschen wenig, um auf Dauer Erfolg zu haben. Zwar hat sie kein Problem dabei, die Männer in sie verliebt zu machen, aber dann gehen die Probleme auch schon los. Den attraktiven François (Jean-Louis Trintignant) vermag sie nicht dahin zu bringen, dass er sich von seiner Tasche mit wichtigem Material hinreichend löst, die ein anderer Agent gerne austauschen würde, während Mata Hari den Franzosen verführt.

 

Dann verliebt sie sich auch noch in ihn, was sie allerdings erst später merkt. Bei einem weiteren Auftrag lässt sie ein wichtiges, sie enttarnendes Dokument am Tatort zurück, das auf überhaupt nicht nachvollziehbare Weise von einem Beschützer, von dem sie auch erst viel später erfährt, dass er ihr nicht nur die Marmeladenbrote schmiert, dann doch noch rechtzeitig beseitigt wird. Auf jeden Fall muss sie fliehen, an der französisch-spanischen Grenze verhalten sich die Grenzbeamten mal wieder so, wie man das so aus dem Kino kennt, sie scheinen Bescheid zu wissen, dass da jemand Dreck am Stecken hat, und am Ende sind sie dumm wie Brot. Zeit genug jedoch für die große Mata Hari, Angst zu bekommen und schon mal das Fläschchen mit Zyankali nicht nur hervorzuholen, sondern auch tapfer anzusetzen, was ihr Beschützer allerdings verhindert. Es geht ja dann auch problemlos weiter. Ihre Auftraggeber, die sie in Barcelona trifft, zeigen sich zufrieden, wollen aber die Spionin im Grunde nur großzügig abfinden und in vorzeitigen Ruhestand schicken. Zu viel Gefühl bei all dem. Zu riskant für den Geheimdienst.

 

Greta, wie sie im normalen Leben, das es für sie nicht gibt, heißt, hat Sehnsucht nach Frankreich und – François, obwohl dieser zu recht sauer auf sie ist, weil er sie mit einem anderen gesehen hat. Vor dem Schützengraben verpasst François einen Einsatz, weil Greta ihn zu sehr liebt. Die trauliche Zweisamkeit wird allerdings rasch beendet, ein deutsches Einsatzkommando trennt das Paar, François stirbt, Greta kann fliehen. Völlig kopflos denkt sie nur noch an ihren faulen Vater und das liebe Geld, das auf einer Bank für sie zum Abholen bereit liegt, ein kleiner Test ihrer ehemaligen Auftraggeber. Greta ist agentisch völlig entschlackt, es gibt keine Vorsichtsmaßnahmen mehr, sie wird gefasst, angeklagt, verurteilt, erschossen. Kurz vor dem Ende ein melodramatischer Höhepunkt, als ein Soldat des Erschießungskommandos sich als ein flüchtig Bekannter entpuppt, der, wie Greta mit François, mit seiner Frau oder Freundin am Bahnsteig stand, um wieder in den Krieg zu ziehen. Auch hier: zu viel Gefühl, der Soldat wird ohnmächtig. Nach den Schüssen hängt Mata Hari doch ziemlich in den Seilen. Eine Vogelscheuche. Sieht so eine erfolgreiche Agentin aus?

 

Dieter Wenk (08.05)

 

Jean-Louis Richard, Mata Hari – Agent H. 21, F/I, mit Jeanne Moreau, Jean-Louis Trintignant, Claude Rich u.a.