10. August 2005

Alte Bekannnte

 

Nicht von nine to five, sondern von sieben Abends bis sieben Morgens. Nicht Arbeit, sondern Party, aber seit wann wäre das keine Arbeit, was man meist zu spät merkt, nämlich wenn die Party zuende ist und die andere Arbeit wieder anfängt. Es ist also sieben Uhr abends, und wir werden Marc Maronnier, den Helden vielleicht nicht der Party, aber wohl dieses schmalen Büchleins, auf seiner Reise bis ans Ende der Nacht begleiten. Der Anlass? Eine neue boîte hat in Paris eröffnet, die größte, die irrste, die begehrteste Disco, die die französische Metropole je gesehen hat. Natürlich hat sie einen beschissenen Namen: <Une Nuit aux Chiottes>, also: eine Nacht auf dem Scheißhaus. Wobei man sich natürlich gleich fragt, ob man das aushalten kann. Andererseits, liest man die Gästeliste, die auf Seite 42/43 abgedruckt ist (der Uhrzeiger steht mittlerweile auf 21 Uhr), wird man sich nicht nur wieder beruhigen, sondern gewiss ein paar neidvolle Momente ertragen müssen, denn wer würde nicht gerne mit Helmut Berger (unser Ludwig II.), Daniel Cohn-Bendit, Jacques Derrida, Boris Jeltsin, Prinzessin Gloria von Thurn und Taxis speisen, feiern und tanzen. Die genannten Gäste haben alle übrigens etwas gemeinsam, was, wird hier natürlich nicht verraten.

 

Aber wer ist Marc Maronnier? Marc schreibt, Romane, Feuilletons, er kennt sich aus in der Szene, er spricht ihre Sprache, wahrscheinlich besser und perfektioniert. Marc kennt natürlich den DJ, Joss Dumoulin, Superstar seiner Gilde, der alles übereinander legt, was ihm zwischen die Finger gerät, aber der Mann denkt auch ein bisschen mit und vor, denn wer würde zufällig Schuberts Lied „An die Nachtigall“ mit Julie Cruise’s (die Sängerin aus Twin Peaks) „The nightingale“ paaren können. Und dann sind da die Frauen, die sich fein säuberlich in zwei Klassen einteilen lassen: Die einen mag Marc, was ihm aber nichts nützt, die anderen mögen Marc, das Weitere wird man sich denken können. Aber liegt es wirklich daran, dass Marcs Baggermethode die falsche ist, dass sich an diesem Abend an der Frauenfront so wenig Erfreuliches tut? Kann man das Frauen antun, sie auf eine Limonade einladen zu wollen? Der Charme des besonders Banalen? Die Hoffnung darauf, von den Frauen zu hören: Hey Mann, du bist ja echt mutig, mit so was zu kommen.

 

Natürlich möchte Marc mit etwas ganz anderem kommen, aber die Stunde zählt inzwischen zwölf, eins und zwei, und die Gäste fangen an, ausfällig zu werden, Alkohol, Drogen, ein paar gehen mal an die frische Luft und spielen ein bisschen Barrikadenkampf, wie in der guten alten Zeit, wo es noch wirkliche Gegner gab. Viel Glas zerbricht. Nach einer depressiven Stunde, man ist wieder in den <Chiottes>, wird es dann noch mal lustig, wenn Marc anfängt, ungefähr so zu denken, wie man in früheren Zeiten schrieb, wenn man sich avantgardistisch geben wollte. Ich habe sogar an Sollers gedacht, an „Paradis“ aber ich weiß jetzt wirklich nicht, wem von den beiden ich da jetzt gewaltig unrecht tue.

 

Und um fünf Uhr Morgens passiert das Unglaubliche: Marc lernt eine Frau kennen, Anne, die er sofort supertoll findet, und ihr geht es mit ihm genauso. Aber wer ist Anne? Er wird mit ihr die Party verlassen. Aber nicht wahr, Sie lassen nicht locker, Sie wollen das jetzt wissen, wer das ist. Der Roman dieser Party steht und fällt mit der Beantwortung dieser Frage. Die Antwort ist ganz witzig. Doch.

 

Dieter Wenk (01.01)

 

Frédéric Beigbeder, Ferien im Koma, Reinbek bei Hamburg (2002); Vacances dans le coma, Paris 1994