3. August 2005

Auch ein Millionenspiel

 

Sie sehen gut aus, sind intelligent, intelligenter als die meisten, Sie wissen, dass Ihr Gesicht mit zu Ihrer Visitenkarte gehört, die aber leider den einen – wem auch immer anzulastenden – Makel besitzt, dass auf ihr, wenn Sie wirklich eine solche haben sollten, aber genau das ist das Problem, nicht das steht, von dem Sie glauben, dass es Ihnen zusteht. Gewissermaßen von Ihrer genetisch-physiognomischen Ausstattung her. Ihr Status liegt im Argen. Sie sind noch ganz weit unten. Da, wo Sie eigentlich gar nicht hingehören. Vor allem wollen Sie viel Geld. Eine nette Freundin oder einen netten Freund haben Sie vielleicht schon. Mit denen Sie viel träumen. Nie mehr arbeiten müssen, Sonne, Strand, der notorische Süden, kurz, Sie wollen ein Cliché realisieren. Und Sie haben die Chance. Ein Spiel. Wo Sie gewinnen können. Eine Million Mark. Wo Sie möglicherweise aber auch verlieren, nichts Kleineres als Ihr Leben. Aber Sie fühlen den Helden in sich, Sie wollen es allen zeigen, und Ihre Freundin, hat Sie Ihnen nicht gesagt, dass Sie etwas ganz Besonderes sind? Das wollen Sie Ihr jetzt noch einmal beweisen...

 

Der Film fängt an. Eine Verfolgungsjagd, ein fliehender Mann, etwas zerbeult, angeschossen, ein paar Verfolger, und viele Kameras, die alles aufnehmen und live übertragen, denn die Show läuft, die Show ist diese Verfolgung. Der Mann hätte genauso viele Chancen wie in einem Kinofilm, aber das ist die Realität, die auch noch manipuliert ist. Die Sache ist also aussichtslos, ein kalter Sprung ins Wasser, aber was hilft es, die Häscher fahren im Boot hinterher, Todesart: Erschlagen mit Ketten. Im Fernsehstudio feiert man das Opfer, die heldenhafte Rettungsaktion einer in Not geratenen Familie, auch wenn dieser jetzt das zahlende Haupt fehlt, immerhin 10 000 Mark Abfindung für die junge sympathische Witwe. Unser deklassierter Mann von vorhin sieht das Ganze, präsentiert sich in der Vorauswahl, wird auserkoren für die Endauswahl (Aufgabe: ein Sportflugzeug landen, nachdem der Pilot das Flugzeug verlassen hat) und siegt, nachdem ein Konkurrent sich in die Hosen gemacht und ein  anderer beim Landeanflug sich um neunzig Grad vertan hat. Crash.

 

Die Macher der Show jubeln, unglaublicher Anstieg der Einschaltquoten. Wie soll dann erst die eigentliche Show werden? Schade, dass man bei soviel Spontanpopularität wie im Falle des glücklichen Fliegers, François mit Namen, ihn dennoch wird aufgeben müssen, denn das ist das eherne Gesetz der Show, natürlich ungeschrieben, dass der Kandidat am Ende der Show sterben muss, weil der Zuschauer das so will. Und das Prinzip des Ganzen: Akzeleration in alle Richtungen. Schneller, härter, brutaler, rücksichtsloser, perfider, was nichts anderes heißt, als dass die Reality-Show den Charakter von Film-noir-Drehbüchern annehmen muss. Und der Titel von allen Shows müsste dann heißen: Du hast keine Chance, aber nutze sie. Du hast vier Stunden lang die Möglichkeit, berühmt zu werden, der alte Andy hat sich noch mit einer Viertelstunde als Massenpopularitätseinheit zufrieden gegeben. Diese vier Stunden sind deine Berühmtheit, dein Leben. Das im Falle von François sehr tragisch endet, tragisch im alten Sinne von unausweichlich, er wird eine zweite Chance bekommen, um seinen Tod zu treffen, den er sich verdient hat. Aberwitzig, aber wahr.

 

Dieter Wenk (01.01)

 

Yves Boisset, Kopfjagd – Preis der Angst, 1982, mit Michel Piccoli, Marie-France Pisier u.a.