3. August 2005

Gar nicht lustige Seefahrten

 

Im Warenkorb der Begehrlichkeiten hat schon früh so ziemlich alles seinen Platz gehabt: Vom Nirwana übers Schokoladeneis bis zur Weltherrschaft wurde nichts ausgelassen. Der Unterschied zwischen Schokoladeneis und Nirwana ist natürlich, dass das Eis schon auf einen wartet, während das Nirwana (oder auch die Weltherrschaft) erst mühsam erkämpft werden muss. In diesem Kriminalfilm zur See wird der Zuschauer mit dem Problem konfrontiert, dass es eine Kunst bedeutet, einmal Erworbenes auch nur zu halten. Hier ist also nicht das Eis am Stiel gemeint, sondern ein richtiges Schiff.

 

Kapitän Patch (Gary Cooper) verlor einst sein Kapitänspatent, weil durch sein Verschulden zwei Schiffe sanken, wobei sechs Menschen starben. Nach einiger Zeit arbeitet er immerhin schon wieder als Erster Offizier. Auf dem neuen Schiff, der Mary Deare, wiederholt sich auf traumatische Weise die Situation, die zum Sinken der Schiffe geführt hat: Nur sind jetzt die Positionen vertauscht: Der Kapitän der Mary Deare, Tagget, ist betrunken, wehrt sich gegen Maßnahmen, die wegen Sabotage zu treffen wären, und stirbt dabei. Leider ist es Patch, der den Totschlag zu verantworten hat. Doch das erfährt der Zuschauer erst später.

 

Zunächst trudelt ein herrenloses Frachtschiff, eben jene Mary Deare, durch die dunkle stürmische See (Ärmelkanal) und begräbt beinah ein Patrouillenboot, die Sea Witch, unter sich. John Sands (Charlton Heston), Bergungsspezialist und einer der Männer der Sea Witch, riecht einen Bergungsbraten und geht an Bord des havarierten Schiffs. Vielleicht hat es dort gebrannt, Rauch steigt hier und da auf, das Schiff ist gespenstisch leer. Bis auf einen, eben Patch, der benommen und zugleich äußerst ruppig dem unerwarteten Gast begegnet. Das stürmische Wetter bringt es mit sich, dass die beiden sich etwas näher kennen lernen müssen, nachdem die Sea Witch abgedreht hat. Ein Geheimnis schwebt über Patch und dem Schiff. Er will nicht sagen, was passiert ist. Bittet Sands um Vertrauen, immerhin hat er ihm gerade das Leben gerettet, als er hilflos am Strick über der See hing. Patch steuert das Schiff gekonnt in die Minquiers, einen Ort, der eigentlich kein Hafen ist, sondern eher Schiffe zum Zerschellen bringt. Patch braucht Zeit. Tut so, als ob die Mary Deare gesunken wäre, und bittet Sands, gegenüber den Behörden noch nichts zu verraten.

 

Dann erfährt man, dass das lecke Schiff hoch versichert war. Wegen der kostbaren Fracht, Flugzeugmotoren. Patch glaubt an eine Verschwörung zwischen Schiffseigner und Mannschaft. Versicherungsbetrug. Was war bei dieser viertägigen Zwischenstation passiert. Und warum wollte man die Mary Deare anscheinend zum Sinken bringen. Während des Gerichtsverfahrens kann Patch zwar darlegen, an was er glaubt, doch hat er keine Beweise, denn er verschweigt, dass das Schiff ja gar nicht untergegangen ist. Diese Tatsache bleibt natürlich nicht lange unbemerkt, und Patchs Gegner, Schiffseigner und Higgins, der zweite Offizier der Mary Deare, nehmen das Heft in die Hand und lassen unter ihrer Aufsicht das aufgelaufene Schiff inspizieren – um es zum Sinken zu bringen, denn natürlich hat Patch richtig gesehen.

 

Aber er hätte gar nichts gesehen, wäre da nicht die Tochter des Kapitäns, die ihm erst die nötigen Hinweise lieferte und ihn schnell Maßnahmen ergreifen ließ. Nach zwischenzeitlichem Zögern ist auch Sands wieder auf seiner Seite, und in einem spannenden Finale können die beiden beweisen, dass die Mary Deare tatsächlich keine Motoren geladen hatte, sondern nur noch, wie der böse Wolf, viele Steine, die sie zum Sinken hätte bringen müssen. Der Weg zum eigenen Schiff ist frei. Strukturelles Wissen kann hilfreich sein, als eine Art self-fulfilling prophecy, wenn man unter dem richtigen Kapitän anzuheuern versteht, dessen Stelle man bald wieder einzunehmen gedenkt.

 

Dieter Wenk (07.05)

 

Michael Anderson, Die den Tod nicht fürchten (The Wreck of the Mary Deare), USA/GB 1959, Buch: Eric Ambler; mit Gary Cooper, Charlton Heston u.a.