29. Juli 2005

Zusatzausstattung Empfindsamkeit

 

Die Feier der Beschreibungskunst ist Ricarda Junges Sache nicht. Steifbeinig bewegt sich der Text ihres Romans „Kein fremdes Land“ über geschotterte Lebenswege. Gleich bleibend lapidare Berichterstattung bringt die Handlung träge voran und den Leser in Szenen, die in ihrer spezifisch US-amerikanischen Tristesse aus Literatur und Film wohlbekannt sind, aber deshalb noch lange nichts von ihrer Schwere und verhexten Bewegungslosigkeit eingebüßt haben.

 

Dies ist ein Buch für Europäer, die – von kleinteiligem Stumpfsinn der alten Welt überfressen – lieber die breitspurige Hoffnungslosigkeit der Fastfood-Ketten der Neuen Welt goutieren und der unendlich weiten Parkplatzmelancholie der Schlafstädte mehr Welthaltigkeit zubilligen als dem deutschen Frust im Winkel.

 

„Kein fremdes Land“ handelt vom Exil. „Seltsamerweise dachte ich auf einmal an deutsche Marmelade. Es ist die beste Marmelade der Welt.“ Tom ist in Deutschland aufgewachsen und arbeitet seit einiger Zeit für die „Philadelphia News“. Seine Mutlosigkeit ist leicht nachvollziehbar. Es ist die Überforderung des Emigranten, dessen Energien vollständig verbraucht werden für die Aufrechterhaltung seiner Würde in einer fremdartigen Umgebung.

 

Den amerikanischen Figuren im Roman geht es allerdings nicht viel anders. Toms Freundin ist Lehrerin und ihr Beurteilungsvermögen verwildert bei der Arbeit zusehends. Sie glaubt, tätliche Angriffe auf ihre Person selbst zu provozieren, und rätselt an dieser eingebildeten Disposition. Die verzweifelte Machtlosigkeit bei klarster Sicht auf die Welt ist die Konstante in Junges Roman. Folgenschwer irrationale Entscheidungen und schleichender Irrsinn sind die Konsequenzen.

 

Fremd im eigenen Land, von dem man doch genau weiß, wie man in ihm leben kann, wie angenehm und friedlich, weil Bush weit entfernt, der Himmel hoch und der Irak noch viel weiter weg ist. Die Romanfiguren haben präzise Vorstellungen vom Leben, sind nicht entfremdet, aber zu keinem Zeitpunkt in der Lage, die Entwicklung der Geschehnisse in die eigene Hand zu nehmen. Mit dieser Machtlosigkeit scheinen sie schon lange bekannt zu sein. „Kein fremdes Land“ trägt den richtigen Titel, er beschreibt den Fatalismus derer, die sich verhalten zu Situationen, die sie voraussahen, die immer reagieren und nie dazu kommen zu agieren, deren Monotonie unausweichlich immer wieder in dieselben Bahnen führt und die, bei vollstem Wissen, so einen gewaltigen Überdruss anstauen, dass sie ihre ihnen bekannte Empfindsamkeit als lästige Zusatzausstattung wahrnehmen, derer sie sich lieber früher als später entledigen wollen. Obgleich sie wissen, dass sie dann Zombies glichen.

 

„Kein fremdes Land“ ist Ricarda Junges erster Roman. Für ihr 2003 veröffentlichtes Erzähldebüt „Silberfaden“ hat die am Leipziger Literaturinstitut ausgebildete Autorin etliche Preise erhalten. Auch ihre Erzählungen handeln von geografisch wie psychisch wagen Zwischenreichen. Die Icherzählerinnen leben in New York, in Berlin, in Leipzig oder sind auf der Durchreise in Krakau oder am Timmendorfer Strand. Die Ortswechsel spiegeln ihre Unsicherheit wider. Bei solch postpubertären Problemen hat Humor anscheinend nichts verloren. Doch trotz tragischer Attitüde kommen die Charaktere bei Junge zu wenig komplex daher, als dass man sie über einen längeren Zeitraum ertragen könnte. Das Format der Kurzerzählung passte zu Junges Stimmungsbildern dann doch besser als die epische Länge eines Romans.

 

Gustav Mechlenburg

 

Ricarda Junge: Kein fremdes Land, S. Fischer Collection 2005

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

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