29. Juli 2005

Schicksal

 

Das Buch ist ein Frauenbuch. Jetzt auch für den Taschenbuch lesenden Mann. Außerdem ein Bestseller. Monica Ali, als Tochter eines Bengali und einer Engländerin in Dhaka geboren, zeichnet ihre Figuren sehr genau und mit Sympathie. Im Leben ihrer Romanheldin Nazneen spielt das Schicksal schon früh eine große Rolle. Kaum geboren, weigert sie sich zu trinken. Ihre Mutter will sie nicht ins Krankenhaus bringen, sondern stattdessen ihrem Schicksal überlassen. Da Nazneen am fünften Tag ihres Lebens von allein anfängt zu trinken und überlebt, übernimmt sie die Schicksalsergebenheit ihrer Mutter, denn „what could not be changed must be borne. And since nothing could be changed, everything had to be borne“. Entsprechend gestaltet sich ihr weiteres Leben. Mit gerade 18 Jahren wird sie an einen viel älteren und dazu noch dicken Mann mit Froschgesicht in London verheiratet, wo sie ihm (wie von ihr erwartet) den Haushalt führt und sich oft fürchterlich langweilt. Das Leben in der Brick Lane ist fremd und unverständlich, zunächst beobachtet sie ihre Umgebung nur vom Fenster der schäbigen Wohnung im Londoner Eastend aus und muss dabei erstaunt feststellen, dass in England auch arme Leute fett sein können. Nur langsam erweitert sie ihren Aktionsradius. Ihre Ehe mit dem gutmütigen Chanu, zwar nicht auf Liebe, aber zumindest auf gegenseitigem Respekt basierend, lässt ihr dafür den nötigen Freiraum. Ihrem Mann fällt ihre erste Rebellion in Form von vernachlässigter Hausarbeit nicht einmal auf, stattdessen ist er damit beschäftigt, endlos lange pseudophilosophische Monologe zu halten. Nazneen bekommt einen Sohn. Als dieser krank wird und stirbt, entsteht das erste Mal so etwas wie Nähe zwischen den Eheleuten.

 

13 Jahre später. Nazneen lernt richtig Englisch und beginnt in Heimarbeit als Näherin zu arbeiten, was ihr zu einer gewissen Selbstständigkeit verhilft. Jetzt endlich, mit Mitte 30, verliebt sie sich das erste Mal. Karim liefert ihr die Stoffe und Schnitte ins Haus, ist daneben ein Anhänger radikal-muslimischer Ideen und versucht, auch Nazneen von seiner Sache zu überzeugen. Zum Glück entscheidet sich die Autorin jedoch nicht für ein romantisches Happy End, sondern lässt Nazneen ihren eigenen Weg gehen, unabhängig von ihren beiden Männern. Selbst Chanu, der dauerredende ichbezogene Ehemann von Nazneen, der sich für einen aufgeklärten Mann hält und trotzdem den traditionellen Wertevorstellungen seiner Heimat verhaftet bleibt, erscheint irgendwie liebenswert. Er bleibt der ewige Verlierer, weil er sich trotz aller Zertifikate lieber in seinen unrealistischen Träumen verliert, anstatt den Tatsachen ins Auge zu blicken. Nazneen dagegen verliert im Laufe der Zeit einen Teil ihrer Schicksalsergebenheit und versucht, aus den Gegebenheiten des Lebens das Beste zu machen. Das klingt erst einmal platt und banal, ist es jedoch nicht, wenn man bedenkt, in welchem Umfeld dieser Roman spielt und wie die klassische Frauenrolle dort definiert ist.

 

Monica Ali, die selbst aus einer Außenseiterposition heraus diese Welt beschreibt, ist hier ein dichter, facettenreicher Roman gelungen, dem man gern kleine Schwächen wie die in gewollt kindlichem Englisch gehaltenen Briefe der Schwester von Nazneen nachsieht, die ansonsten einen interessanten Gegenpol zu Nazneens eigenem Leben darstellen, denn schließlich hat sich ihre Schwester zu Hause in Bangladesch gegen ihr Schicksal aufgelehnt und ist mit ihrem Geliebten durchgebrannt. Selbstredend, dass so viel Aufmüpfigkeit in einer von Männern dominierten Welt bestraft wird.

 

Katrin Zabel

 

Monica Ali: Brick Lane, Knaur 2005

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

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