23. Juli 2005

Was alles nicht passiert ist

 

Warum soll man überhaupt lesen und nicht vielmehr nicht? Wer liest, kann erzählen oder davon berichten, was er gelesen hat und somit auf eine Form zurückgreifen, die für alle im Deutschunterricht virulent war: Inhaltsangabe und Nacherzählung. Literatur, so lernte man, ist dazu da, zusammengefasst zu werden. Nicht umsonst spricht man ja auch von Dichtung als der seltsamsten Form dieser Komprimierung, die der Dichter dann aber schon selbst leistet und die man dann wieder entfalten muss. Thomas Kraft macht in seiner „Werbeschrift“ ausgiebigst Gebrauch von der Verdichtung in der Hoffnung, den angeblich schlechten Ruf, in dem die deutschsprachige Literatur stehe, umzupolen. Weil das ein heikles Unterfangen ist und die Inhaltsangaben für sich nicht so wahnsinnig viel bringen, muss die story noch in einen Rahmen gepackt werden, der als wertender Beipackzettel den zu erwartenden Gewinn der Lektüre markiert.

 

Nachdem Kraft den Leser am Anfang darüber getröstet hat, dass es nicht so schlimm sei, dass es den großen Roman etwa der Wende oder des Milleniums nicht gegeben hat und wohl auch nicht geben wird, nimmt er uns mit auf eine Kapitel-Reise, auf der thematisch, geografisch, zeitlich, stilistisch die Flut der Autoren gebündelt ist und man schnell selber merken können wird, auf welcher Welle man reiten will oder welche man noch nicht ausprobiert hat. Jedes der 10 Kapitel bringt es auf etwa 10 Seiten, in denen viele Autoren und manche Werke genannt, einige verinhaltet und ganz wenige dringend ans Herz des Lesers gelegt werden. Thematisch sind „Schwarze Romantik“, Literatur, die das Subjekt untersucht, Pop und sein offenes Ende, Ostromane, „uneinheitliche Romane“ (hierzu zählt merkwürdigerweise Ingo Schulz mit seinen Erzählungen „Simple Storys“), die erst jüngst wieder viel beschworene „deutsche Mitte“, Shoah- und Enklaven-Literatur (Banatdeutsche etc.). Es handelt sich durchweg um Autoren, die eher erfolgreich sind und den Sprung in die Besprechungsorgane des Feuilletons nicht mehr vor sich haben (eine Leseliste mit etwa 35 Autoren ist beigefügt).

 

Was Thomas Kraft hier macht, ist ja durchaus sympathisch, und doch vermag er seine selbst gestellte Frage, warum die deutschsprachige Literatur besser sei, als ihr Ruf, nicht zu beantworten, schon gar nicht im internationalen Kontext, der hier strikt ausgeblendet ist. Irgendwie wird unterstellt, dass ein paar Dutzend Autoren gegen einen Ruf anschreiben, der sich wie auch immer gebildet habe und den es nun auszumerzen gilt. Das ist eine ziemlich absurde Vorstellung. Genauso wie der Versuch, die Autoren in das allerdings sehr großzügig bemessene Korsett aus Unterhaltungspotential und realpolitischer Erdung samt gesamtgesellschaftlicher Verlagerungsutopie zu stecken. Was diese Werbeschrift aber letztlich scheitern lässt, ist ihr mangelnder werblicher Zug. Man kann nicht sagen, dass diese 130 Seiten Spaß bereiten. Nicht nur, dass man inhaltistisch erschlagen wird, es fehlt der Sog, der einen von Autor zu Autor führt und von Text zu Text. Das verwendete Sprachmaterial ist recht grob geschnitzt, Metaphernfelder drängen sich in ihrer Plumpheit auf, manches wirkt auch schlicht hilflos: „Es ist der manchmal freche, manchmal scheue Zugriff auf Themen und vor allem auf einen Wortschatz, der als solcher tatsächlich empfunden und kreativ benutzt wird.“

 

Vielleicht sollte man sich darauf beschränken, einfach Listen zu schreiben, die einmal pro Monat von kleinen und großen Literaturdiskurspolizisten in Umlauf gebracht werden und die der interessierte Kunde ein bisschen wie ein Aktienpaket prüfen kann. Alles andere muss man sowieso selber machen.

 

Dieter Wenk (07.05)

 

Thomas Kraft, Schwarz auf weiß. Warum die deutschsprachige Literatur besser ist als ihr Ruf. Eine Werbeschrift, kook books, Idstein 2005 (kookbooks)

 

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