13. Juli 2005

Einstand und Ehre

 

Das digitale Ritornell unserer Tage in der Rubrik Generationen kritisieren Generationen lässt in einem seiner Reime hören, dass die vor allem männliche Jugend ihre kostbarste Zeit vor dem Bildschirm verbringt. Das sollte man genau so ernst nehmen wie die entsprechenden Weisen früherer Zeiten. Entspannt greift man spaßeshalber zu Autoren, die nun wirklich nicht im Ruch stehen, sich vom erzählerischen Gehalt her mit den aktuellsten Ereignissen zu prostituieren, und was erfährt man? Dass die dort geschilderte, scheinbar zeitenthoben situierte Jugend, exemplifiziert an zwei jungen Männern, nichts anderes zu tun hat, als entweder den lieben langen Tag mit dem Degen zu fechten (Daniel Roux, ein Deutscher trotz des Namens) oder eben solche herzustellen (Thomas Woller). Man glaubt sich im Spätmittelalter, aber der Erste Weltkrieg steht bevor. Aber so geht es eben bei diesem Autor zu, bei dem alte ritterliche Kodexe noch ungebrochen funktionieren und ziemliche neue Erfahrungen wie erbarmungslose Stellungskriege auf alte kriegerische Duellsituationen zurückgebogen werden. Ernst Jünger als Augsburger Puppenkiste.

 

Aber das eigentlich mythopoematische Bindings findet immer in der Beziehung zwischen Mann und Frau statt. Nach der Rückkehr vom Weltturniertag gedenkt Thomas Woller, der Waffenschmied, zu heiraten. Seine Wahl fällt auf die stolze (aber das ist bei Binding ein Pleonasmus) Frau Gertrud, sie wird auch oft Frau Gertrud genannt, wie in den Ritterromanen. Wie das bei Rittern üblich ist, gibt es eine Werbung. Nachdem Thomas und Frau Gertrud einmal schön die Nacht durchgetanzt haben, glaubt Thomas, dass es so weit sei. Daniel klopft bei Frau Gertrud an und trägt als Bote vor, was er zu sagen hat. Vorlaut fragt Gertrud, warum der gute Mann nicht selbst komme. Anscheinend sind nach vielen Jahrhunderten die Regeln nicht mehr so präsent. Daniel zieht sauer ab. Thomas nimmt es nicht so krumm und geht später selber zu seiner Zukünftigen. Frau Gertrud findet das alles ein bisschen schnell, sie will auch Abenteuer und Kampf, und so sagt sie zu dem Werber: „Je nun, würdest doch nicht einmal, wie wohl jeder der Burschen da drüben am Tisch, die mit ihren Mädeln sitzen, für einen Kuss und auch noch für was mehr bei mir einsteigen.“ Gut gebrüllt, Löwin, möchte man da beipflichten. Der Langeweiler ist aber natürlich noch saurer als Waffenbruder Daniel vorher und beleidigt. Aber Frau Gertrud kann die berechtigte Härte nicht aufrecht halten und knickt sofort ein. Sie fühlt sich schuldig. Fürchtet, den Schmied ihres Glücks zu verlieren, noch bevor sie ihn gewann. Sie zieht sich zurück in ihre Kemenate und weint trockene Tränen. Ein merkwürdiges détachement befällt sie, als ob die Welt nichts mehr mit ihr zu tun hätte.

 

Der erste Fehler in ihrem Leben, der ihr fast das Leben nimmt. Daniel wird kurz von seinem Freund in Kenntnis gesetzt. Eine Begegnung zwischen Daniel und Frau Gertrud verläuft im Sand zerstreuter Aggression. Dann kommt es zu einer zweiten Begegnung, die so keiner gewollt haben kann, aber die einfach so geschieht. Denn Daniel taucht später in der Behausung von Frau Gertrud auf, die ihn nicht als Daniel erkennt, sondern ihn für Thomas hält. Plötzlich kommt es zu einem Kampf, der in einen Liebeskampf übergeht. Dieser Abend wird von allen Beteiligten wie etwas Heiliges behandelt. Vor allem Daniel schweigt, nachdem er erfährt, dass es eigentlich schon vor dem Abend eigentlich gar nicht so übel aussah mit Frau Gertruds Heiratsabsicht, die dann auch umgesetzt wird. Hier zeigt sich die wunderbare Idee von Männerfreundschaften, die ein Krieg stählt und bewirkt, dass jeder für den anderen in jeder Situation einzustehen bereit ist. Von daher ist es für Daniel überhaupt kein Problem, „dass er in jener Nacht die Sühne von Gertrud für seinen Waffenbruder nahm.“

 

Und doch kann diese ritterliche Selbstverständlichkeit nur als Geheimnis aufrecht erhalten bleiben. Binding geht dem Dilemma aus dem Weg, indem er Thomas bald danach sterben lässt. Denn was hätten die beiden Brüder machen müssen oder dürfen? Nicht auszudenken. Deshalb muss die nächste Generation dran, außerdem ist man mit ihr auch noch näher am Mythos dran. Der Sohn von Frau Gertrud ist natürlich nicht von Thomas, sondern in jener Nacht von Daniel gezeugt. Hermann, der Sohn, lernt das, was sein Vater ausschließlich kann, nämlich fechten. So erzieht Daniel seinen eigenen Richter und Henker, denn in einer naiv-vertraulichen Stunde verrät Daniel seiner Frau, einer Stiefschwester Frau Gertruds, sein Geheimnis, die als Frau, die nicht stolz ist, natürlich nur klatschen kann, was sie in einer ausgesuchten Situation auch tut. Hermann wiederum wird von seiner Mutter über die Nacht der Nächte in Kenntnis gesetzt, und die Duelldinge nehmen ihren Lauf. Hermann übt Rache an seinem Vater, der es mit sich geschehen lässt. Nach dem tödlichen Gefecht erkennt Frau Gertrud, was es mit ihrem Sohn auf sicht hat, dass er nämlich nicht Thomas’ Sohn ist. Schrecklich. Sie geht in den Fluss, „sie war schon kalt, als die Wasser sie aufnahmen.“ Wir wissen nicht, welchen Komplex Hermann, dem danach „graute“, davontrug. Immerhin hat er seine Mutter in Ruhe gelassen.

 

Dieter Wenk (05.05)

 

Rudolf G. Binding, Die Waffenbrüder, Potsdam 1941 (Rütten & Loening)