4. Juli 2005

Bäh, Mäh

 

„Sie geldgierige Schlange im Gras, sie würde ich nicht einmal ins Haus lassen, wenn ich einen Mungo in der Küche hätte.“ Die Frage ist, ob man Fred Pickle, den schlagfertigen Protagonisten aus Robert Sedlacks zweiten Roman reinlassen würde, der solches von sich gibt.

 

Man kennt sie, die üblichen Verdächtigen. Einer rennt rum, tut halbseitig beschädigt und ist schlauer, als die Polizei erlaubt. Fred Pickle hat tatsächlich eine halbseitige Lähmung und eine Hirnverletzung und wohnt auf der Schafsfarm seines Onkels, einem ehemaligen Cop. Dort spielt Sedlacks Roman über Eishockey, Männerfreundschaften, Bauernweißheiten und Tiere. Nach einem tragischen Unfall ist Fred Pickle mit einem beschädigten Leben davongekommen, sitzt herum, macht Bemerkungen zur Lage der Nation Kanada im Angesicht des kapitalistischen Geldschweins Amerika, und überhaupt. Jeden Winter legt er eine Eisbahn an, die Dorfis kommen und spielen Hockey.

 

Pickle ist nicht völlig verblödet, nur eben so doll, wie man das für Filme oder Romane gebrauchen kann. Es handelt sich um einen Art-Brut-Kitsch. Nach der Devise: Kinder und Betrunkene sagen die Wahrheit, oder lasset die Kindlein und die geistig Armen zu mir kommen. Die wahren Quellen des Lebens, besonders gut auf dem Lande zu erspüren, sind eben in fester Hand der Leute, die vom Leben gründlich abgeschnitten sind, oder, und das eben ist Kitsch, die für den Rezipienten wahrhaftige Mittler solcher Erfahrungen darstellen sollen. Es gibt berühmte Beispiele für dieses Vorgehen. „Forrest Gump“ oder „Elling“ waren solche Erfolgsfilme, die ihren Drall mit Hirnschäden gewannen. Zweifelhafte Kapauken sind das, rührend unrealistisch. Aber auch Dostojewskis Idiot, einer der eben zwischen Geistesnacht und Menschheitsnacht zu erstaunlichen Vermittlungen in der Lage ist, zählt dazu.

 

Man muss nicht strenger sein als sonst, aber die in „Ein unvergessliches Jahr im Leben des Fred Pickle“ alle zehn Seiten wiederkehrenden Rührseligkeitstattacken sind doch schwer zu ertragen. Pickle betritt den Zwinger des wahnsinnig gewordenen Hundes und wird natürlich nicht gebissen. Wie es so scheußlich heißt im Jargon der Sozialarbeitenden, er „knackt“ ein autistisch schwieriges Wesen, selbstverständlich ohne sich viel darauf einzubilden. Oder, ein echter Feind, der sich nach Schlägereien doch so weit herablässt, auf Pickle zu hören, vollführt beim Eishockey im ausverkauften Stadion eine trickreiche Figur, die er von Pickle lernte, während dieser als Ehrengast zuschaut. Und als der Exfeind sich nach ihm umdreht, ist Fred Pickle natürlich verschwunden. Es ist der schönste Männerroman-Blödsinn von wenig Worten, eindringlichen Gesten, Tierliebe, Sport und netten Frauen, und, ach ja, das Leben ist hart und ungerecht.

 

Sicher kann Sedlack ironisch sein, das hat er mit seinem hervorragenden Erstling „Afrikasafari“ vortrefflich bewiesen, aber wenn er in seinem neuen Roman sämtliche Brechungen der Testosteron-Tränendrüsigkeit dem lädierten Helden zuschanzt, gewinnt dieser nur noch stärkere Supererlöser-Züge, die diese Lektüre so unangenehm machen.

 

Fred Pickle hatte einst zu kühnsten Hoffnungen Anlass gegeben, er war ein angehender Eishockeystar, nun geht das nicht mehr. Sein Gedächtnis ist kaputt und seine Motorik auch, nicht aber seine Kombinationsgabe und sein gütiger Menschenverstand. Zu seinem Ärger wird sein ehemalige Hockeyverein, sein Ein und Alles, in die USA verkauft. Es kommt im Laufe des Romans zu einer längeren Radtour über die Grenze, wo er den Verkauf mit nicht ganz legalen Mitteln zu verhindern versucht. Außerdem gibt es naturgemäß viele schafsmäßige Probleme auf einer Schaffarm. Also Geburten, denen Pickle mit Glück zu einem guten Ausgang verhilft, oder böse wildernde Pitbulls und Geldmangel. Aber auch Hütehunde, die den gestürzten Fred Pickle ohne sein Wissen wärmen und so vor dem Kältetod bewahren. Eine zu seinem Geburtstag gemietete Prostituierte, die, wer hätte das gedacht, den fünffachen Preis verlangt, weil Pickle zwar hinkt, aber ganz und gar nicht impotent ist, steht im Gegensatz zu seinem Gutmenschen von Onkel, dem früh verwitwet nur noch der altersschwache Kater auf der Brust schläft, und der, um mit seiner attraktiven Nachbarin ins Gespräch zu kommen, keine bessere Idee einfällt, als mit ihr Holzfällen zu gehen. Klar, wir sind ja in Kanada.

 

Wem zum Himmel schreiender Irrealis nichts ausmacht und wem nicht graut vor Platzwartphilosophie, wird das Buch schnell und vergnüglich lesen können. Sedlack schreibt flüssig, ohne abzuirren, versteht Spannung aufzubauen, hat mit seinen Romanfiguren einen ganzen Stall voll Sympathen zur Hand, plus ein paar, natürlich kapitalistischen, Bösewichtern, gegen die man kämpfen kann. Aber ganz im Ernst, die Probleme im wirklichen Leben sind doch ein wenig diffiziler. Es ist einfach unbefriedigend sich vorzustellen, dass ein Mann, ungewaschen stinkend mit seltsamen Ticks gestraft, alle möglichen fremden Frauen umarmen darf, einfach weil er charmant quatschen kann und ein putziger Behinderter ist, weshalb alle recht tapfer sind und alles gut ausgeht.

 

Robert Sedlack: Ein unvergessliches Jahr im Leben des Fred Pickle, Hoffmann und Campe 2005, 446 Seiten

 

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