24. Juni 2005

Ödipussi

 

Was gibt es zu Philippe Djian schon noch zu sagen. Ein Bestseller- und Kult-Autor höchsten Rangs. Entweder ist man seit „Betty Blue, 37,2 Grad am Morgen“ bedingungslos Fan, oder eben nicht. Die Geschmacksfronten sind eindeutig, so scheint es. Spannend wird es erst wieder, wenn die Fangemeinde selbst sich spaltet. Das ist jetzt bei Djians neuestem Roman „Reibereien“ geschehen. Die mit zunehmendem Alter gestiegene Experimentierfreudigkeit des Autors wird in Internetforen als unnötig oder als „voll in die Hose gegangen“ abgetan. Wie seine Vorbilder Raymond Carver oder Richard Ford wolle Djian schreiben, aber die Technik des Weglassens und des Ungesagten beherrsche er einfach nicht wirklich, da er doch eigentlich ein Meister des Details sei.

 

Der Unmut der meisten Fans liegt aber wohl vor allem in der auffälligen Konstruiertheit des neuen Buchs begründet. Fünf Short Cuts behandeln das ödipale Mutter-Sohn-Verhältnis in unterschiedlichen Lebensabschnitten der Protagonisten. Die Sprünge zwischen den Kapiteln sind abrupt. Dass der Ich-Erzähler plötzlich nicht mehr Fotomodel, sondern Buchhändler, später Verleger ist, wird nie erklärt. Und doch, es passt alles perfekt zusammen. Die auf einmal auftauchende Tochter stammt von seiner in einem vorherigen Kapitel verstorbenen Frau. Dort hatte man allerdings nichts davon erfahren, dass das Kind kurz vor dem plötzlichen Tod der Schwangeren noch zur Welt kam. Short Cuts also im Sinne Robert Altmans, wo sich die einzelnen Episoden geschickt zusammenfügen. Und was beim einen ein Erdbeben, das ist beim anderen eine Gasexplosion.

 

Im Gegensatz zu Altmans Film ist bei Dijan allerdings alles chronologisch angeordnet, ohne Rückblenden. Und das hat auch seinen inhaltlichen Grund. Denn dazulernen tut der Held in „Reibereien“ nichts. Nach einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den Eltern verspricht der 11-Jährige seiner Mutter, sie nie allein zu lassen. Das bewahrheitet sich im Verlauf des Romans aufs Fragwürdigste. Er kommt nicht von ihr los. Wohnt auch als Erwachsener nur wenige hundert Meter entfernt von ihr, mischt sich ein in ihre Liebes- und Trinkangelegenheiten und zerstört durch diese quasiinzestuöse Beziehung auch alle eigenen Liebschaften mit Frauen, die sich um ihn bemühen. Etwas naiv kommt er dabei schon daher, wenn er sich wundert, dass jedes Mal, wenn er ein Problem mit einer Frau hat, die Art Beziehung, die er mit seiner Mutter pflegt, aufs Tapet gebracht wird.

 

Ursprünglich bezeichnet die Psychoanalyse mit „Komplexen“ die Muster, die allgemein und grundlegend zwischenmenschliche Beziehungen ordnen. An der ödipalen Ordnung zwischen Mutter und Sohn in Djians Roman ist nicht zu rütteln. Da bedarf es auch keiner Worte. Wir „sprachen nicht darüber, es gab Momente, in denen das Schweigen kristallklar war und wir stumme Blicke wechselten, die ganze Bücher über unsere Misserfolge sprachen.“

 

Sprachlosigkeit ist ohnehin ein Markenzeichen der Yuppie-Generation, die Djian beschreibt. Außer platten Klischees wie „Du musst die Sache ein bisschen cooler angehen“ hat man sich auf den Partys am Pool zu The Cure´s „The Hanging Garden“ kaum etwas zu sagen. Dass Sprachlosigkeit zu Gewalt führt, hat sich Djian bei Bret Easton Ellis abgeschaut. Gleich zweimal müssen Hunde dran glauben, ganz im Affekt werden sie erschlagen, bis schließlich der Verehrer der Mutter ganz gezielt beseitigt werden muss. Ödipus lässt grüßen. In ihrer Übertriebenheit sind diese Art Zitate durchaus witzig. Sie stören kaum die psychologisch anspruchsvolle Analyse, die der Autor seinen Protagonisten angedeihen lässt. Der Titel „Reibereien“ allerdings ist ein purer Euphemismus angesichts dessen, was sich hier an zwischenmenschlichen Abgründen auftut. Ein guter Einstieg also für diejenigen, die sich bisher mit der Djian-Welt nicht anfreunden konnten.

 

Gustav Mechlenburg

 

Philippe Djian: Reibereien. Diogenes 2005, 234 Seiten; 19,90 Euro

 

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