15. Juni 2005

Tödliche Freiheit

 

Die Helden Sartres haben es schwer, bei sich selbst anzukommen. Kraft der Freiheitsideologie ihres Autors ist ihnen das nämlich eigentlich verwehrt. Und daran zerbrechen sie zuletzt oder spielen weiterhin routiniert ihre Spiele. Meist stehen sich zwei Spielernaturen gegenüber. Die einen sind die Chefs, wofür sie von den anderen, die noch nicht so weit sind, bewundert werden. Die einen sind hart, überzeugend, charmant, die anderen leiden an ihrer bürgerlich-aristokratischen Dekadenz, die ihnen verbietet, einmal fest zugreifen zu können. Der mit dem jungen Püppchen Jessica verheiratete Hugo ist so ein Typ, der nie Mangel gelitten hat, als Journalist nicht ganz untalentiert ist und wissen will, ob es nicht eine Apparatur gibt, die imstande wäre, ihm ein Zentrum zu geben, dessen er bisher entbehrte. Er tritt in die Partei ein (die kommunistische, das Stück spielt gegen Ende des 2. Weltkriegs in „Illyrien“). Man nimmt ihn nicht ganz ernst. Er redet zu viel. Vor allem hat er zu viel Sartre gelesen. Das bekommt ihm nicht. Ein Hamlet des 20. Jahrhunderts. Zweifler vor der Partei.

 

Dagegen ist Hoederer, sein Gegenspieler, die Ruhe in Person. Charismatiker, der er ist, kann er sich erlauben, nicht nur strikt die Kommandos von oben nach unten weiterzuleiten. Er ist Stratege und Taktiker in einem. Das, was man einen gewieften Politiker nennt. Das imponiert Hugo. Unglücklicherweise hat er den Auftrag, Hoederer aus dem Weg zu schaffen. Kleine Säuberungsaktion im Innern des Parteikaders. Nach zehn Tagen ist Hoederer immer noch am Leben. Hugo glaubt, dass die richtige Situation zu ihm kommt statt er zu ihr. Inzwischen hat sich auch die kleine Jessica mächtig in Hoederer verliebt und will auf gar keinen Fall, dass dieser stirbt. Andererseits ärgert es sie, dass ihr großspuriger Gatte nicht zu Potte kommt. So wird sie zur Verräterin. Und gesteht Hoederer ihre Liebe. Leider im ungünstigsten Augenblick, denn just im Moment des ersten Kusses taucht Hugo auf und ertappt die beiden. Jetzt hat Hugo seine Situation, leider die falsche, denn nun ist man mitten drin in der Tragödie, und man hat es schon längere Zeit bedauert, dass dieses lange Stück, eine klandestine Haupt- und Staatsaktion, nicht in Alexandrinern geschrieben ist. So viel Selbstdurchsichtigkeit, Hass, Impotenz, Intrige hat man zuletzt in den Stücken der französischen Klassiker genossen. Hugo kommt nicht darüber hinweg, Hoederer „wegen einer Frau“ getötet zu haben. Das klingt zu sehr nach Affekthandlung und lässt sich nur schwer an den Auftrag der Partei anbinden.

 

Aber es kommt noch schlimmer für Hugo. Die Geschichte des Auftragsmords ist erzählerisch eingebunden in eine spätere Situation, in der Hugo beweisen soll – eben durch genau die Erzählung des intentional verfehlten Mordes – dass er für die Partei „wiederverwendbar“ sei. Olga, die Hugo zuhört und seine Richterin (und geheime Bewunderin) ist, gibt ihm die Chance, seinen Registerfehler zu kaschieren, indem er einfach sagen soll, wie er zwei Jahre später den Mord an Hoederer sieht. Als Hugo merkt, dass diese Großzügigkeit Olgas nicht ganz uneigennützig ist, verliert er vollends den Verstand. Denn auch Olga hat ein paar Sachen zu beichten; die politische Situation hat sich mittlerweile so gewandelt, dass die damaligen Gründe, warum man Hoederer aus dem Weg schaffen wollte, nicht mehr zählen und der Kader umgekehrt feststellen muss, dass er genau die Position vertritt wie vormals der Getötete. Diese abermalige Entwendung seiner Tat kann Hugo nicht mehr verwinden. „Seine“ Tat ist nun doppelt durchgestrichen und zu Ehren des bewunderten Opfers seines eigenen Totschlags verweigert er die weitere Zusammenarbeit mit der Partei. So viel Freiheit muss sein. Auch wenn sie tödlich endet.

 

Dieter Wenk (06.05)

 

Jean-Paul Sartre, Die schmutzigen Hände, Rowohlt (Les mains sales, Paris 1948)