8. Juni 2005

Der Existentialismus ist kein Buddhismus

 

Die Feststellung: „Die Hölle, das sind die Anderen“ käme einem Exhibitionisten sicherlich nicht über die Lippen, es sei denn man würde ergänzen: „wenn sie nicht da sind“. Er hält es lieber mit dem Cocktailpartygänger von T.S. Eliot: „Die Hölle ist man selbst. Allein.“ Beide Zitate finden sich in Theaterstücken aus den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts, Eliots Satz ist sehr wahrscheinlich eine direkte Bezugnahme auf Sartre. Während Eliots Stück jedoch eine ganz normale Partysituation schildert, ist „Bei geschlossenen Türen“ Theater unter experimentellen Bedingungen. Das fängt bei scheinbar geringfügigen Dingen an – die drei Protagonisten Joseph, Inès und Estelle müssen ohne Spiegel auskommen (wie die Figuren in Canettis „Komödie der Eitelkeit“) –, bringt Härteres ins Spiel (die drei können die Augen nicht schließen, also auch nicht schlafen) und endet beim Unerträglichen: Sie sind in einem Raum gefangen, den sie nicht verlassen können (und wenn, wartet woanders die selbe Situation auf sie).

 

Keine Frage: die drei waren auf Erden keine Engel, deshalb müssen sie in der Hölle zwar nicht mehr schmoren, aber ebendort sich, wie man so schön sagt, die Hölle gegenseitig heiß machen. Die Hölle findet also genau dann, statt, wenn es keine Unterbrechung gibt. In keiner Weise kann man ein Auge zudrücken. Man kann weder von sich noch von den anderen absehen. Deshalb heißt das Gesetz der Konversation ja auch weise: Unterbrechung. Wenn es auf Cocktailpartys zu heiß herzugehen droht, wechselt man das Thema oder den Gesprächspartner (ich hol mir grad noch mal ’n Bier, ja – ja klar). So viel Erziehung haben natürlich auch die drei Höllenbewohner mitbekommen, aber es klappt nicht. Josephs Vorschlag, dass jeder in seiner Ecke ruhig vor sich hin meditieren möge, ohne die anderen zu belästigen, haut nicht hin. Die beiden Frauen halten das nicht aus. Inès beginnt ein verführerisches Wiegenlied zu singen, denn sie ist scharf auf Estelle. Diese wiederum sucht Schutz bei Joseph, der sie aber nicht lieben kann unter den gegebenen Bedingungen des ständigen Beobachtetwerdens.

 

Das ist ja eine Spezialität, eigentlich eine Idiosynkrasie bei Sartre: Andere Leute können allein durch ihren Blick einem selbst etwas wegnehmen. Der Blick des anderen stört, ja enteignet, der Blick des anderen setzt sich an die Stelle des eigenen, und die schöne Kontemplation, mit der man einen Garten oder eine Frau bewundert hat, ist weg. Der Andere bei Sartre, das ist der Aura-Zerstörer. Und das kann einem auch unter freiem Himmel passieren. Anders gesagt: die Hölle kann jederzeit losgehen. Der Andere ist das ständig drohende Veto, das der Andere noch nicht einmal von sich selbst her einbringen, formulieren muss. Das heißt aber, dass der Andere immer nur ein Anlass ist für die Hölle, die man sich selbst bereitet. Man ist selbst schuld.

 

Das ist der springende Punkt dieser Philosophie, sie ist paradox (die Hölle, die die anderen sind, bereitet man sich selbst), aber diese Paradoxie lässt sich eigentlich nicht entfalten: nur im schlechten Sinn des Verbergens, aber dann ist man auch schon im Bereich des Unauthentischen. Diese Situation lässt sich nicht aushalten. Sie ist unerträglich, deshalb muss man zum Spiel(en) greifen, bis einen die Anderen mal wieder darauf aufmerksam machen, dass das, was man macht, nicht echt sei. Was kommt dabei heraus? Ein ziemlich schäbiges stop and go, ein Hass auf die Anderen und auf sich selbst, und das alles, weil man nicht alleine sein kann. Aber auch nicht zusammen. Die Lösung? „Weitermachen“.

 

Dieter Wenk (06.05)

 

Jean-Paul Sartre, Bei geschlossenen Türen, Rowohlt (Huis clos, Paris 1947)