7. Juni 2005

Der Geist des Spektakels über sich selbst

 

Mitgründer des Situationismus 1957, enfant terrible der französischen Intellektuellenszene, 1967 wirft er eine Medientheorie auf den Markt, die 1968 eigentlich schon vorher ins Fiktive katapultiert hat, und alles, was danach gekommen ist samt den ikonoklastischen Spitzen wie Baudrillard oder heute Virilio. Einer, der sich radikal aus dem Gesellschaftsverkehr gezogen hat, Verächter der médiatiques (deshalb ist es ihm auch egal, dass Sollers ihn verteidigt), ein vielleicht letzter Erhabener, der die ganze Welt gegen sich gerichtet weiß, und der auch weiß, dass das genau die Struktur des Phantasmas der Paranoia ist. Sonderbare Waage. Ansammler mehrerer Sternbilder. Omnipräsenz.

 

„Cette mauvaise réputation… “ ist ein Jahr vor seinem Selbstmord herausgebracht. Abrechnung? Wer weiß. Aber er hat alles penibel gesammelt, was sich so im Laufe der Zeit mit ihm beschäftigt hat. Und niemand konnte ihm gerecht werden. Keiner. Deshalb auch sein Kommentar zu sich selbst? Zu seinem Spektakelbuch? Und am Ende also diese Abfertigung. Nur für Eingeweihte. Und diese Eingeweihten sind alle falsch gewickelt. Treffen den Punkt nicht. Verstehen Debord nicht. Klagen ihn fälschlicherweise an. Loben ihn, wo es nichts zu loben gibt. Keine falschen Bundesgenossen. Größenwahn also. Aber auch dieses Etikett ist ihm bekannt. Was macht dann ein Mensch mit sich, wenn er so weit ist? Wenn er nicht nur glaubt, drüberzustehen, sondern tatsächlich dort steht (auch wenn diese Tatsache nur in ihm selbst einen Protokollanten finden sollte). Es gibt dann kein echtes Gegenüber mehr. Die Unangreifbarkeit lenkt die Vernichtung. Mit ihm stirbt das letzte Reale. Nach ihm hebt die Welt an zu schweben, sie hat schon längst das Zauberwort gefunden, aber ein Nörgler hat es immer noch in den Dreck gezogen, hat Vergleiche damit angestellt, hat immer noch aus einem Reservoire geschöpft, das eigentlich so leer sein sollte wie Pandoras Büchse, nachdem auch die Hoffnung das Schiff verlassen hat. Debord wird weiterleben, so lange, bis es einen Film über ihn geben wird, der ihn von sich selbst erlösen wird. Und dann wird es immer noch die Idee vom Situationismus selbst geben, ein Wort, in das man alles Schöne stecken kann, alles Wünschbare, alles Romantisierbare, alles, was aus einem Roman herausfallen sollte, Abfall für einen selbst.

 

Im Grunde die Methode, wie Sollers, der hier Geschmähte, seine Biografien verfasst. Verwandtschaften als Double-Leben. Tendenzen als harte Charakterzüge markieren, Unschönes als beifälliges Produkt werten, Gegnerschaften kreieren, Allianzen gründen, auch wenn sie nur einseitig sein sollten, aber man weiß ja nie. Übrigens habe ich noch nie ein Bild von Debord gesehen, auch noch keins von Brasillach. Als ob man noch eine Zusatzinformation bekäme, vielleicht sogar den Schlüssel. Debord hat sich durchgestrichen, der andere hat sich hypnotisieren lassen. Menschen halt.

 

Dieter Wenk (12.00)

 

Guy Debord : „Cette mauvaise réputation… “, Paris 1993