1. Juni 2005

Vorüberlegungen zur Erbschaftssteuer

 

Es gibt sicher elegantere Romananfänge als diesen. Anders gesagt: Dieser Roman beginnt sehr informativ. Einerseits schadet das nicht, denn nicht jeder (deutsche) Leser ist Experte in der Zeit um 1800 in Frankreich. Andererseits muss man sich, auch wenn man ganz ruhig im Sessel sitzt, auf zahlreiche Sprünge gefasst machen, die nicht nur die Chronologie betreffen, sondern auch den Anriss der Geschichte. Aber vielleicht heißt nicht umsonst der Titel dieses Buchs „La Rabouilleuse“, das zugehörige Verb, das nicht mehr gebräuchlich ist, „rabouiller“, meint „trüben“, und zwar das von Gewässern. Trübe Verhältnisse, man durchschaut erst mal nicht so gut, wie die Personen zueinander stehen, zum zweiten stehen die meisten der Figuren aber tatsächlich in trüben Verhältnissen, sie sind arm, manchmal am Rande des Existenzminimums.

 

So auch die Rougets, das sind die Witwe Rouget und ihre zwei Söhne, nämlich Joseph, ein Maler, der den Mut hat, antiklassizistisch zu malen (und damit erst einmal ziemlich erfolglos zu sein), und der Soldat Philippe, der unter Napoleon Karriere gemacht hat, aber seit dessen Fall nicht aufhört, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Philippe, der den Zivilstand hasst und glaubt, ein Anrecht auf Ruhm und Geld zu haben, bringt sich parasitär durchs Leben, was ihm aber immer nur zeitweilig den Hass seines Bruders und die Verzweiflung seiner Mutter einbringt, die viel zu sehr an ihrem tollen Hecht hängt, als dass sie von ihm lassen kann. Philippe stiehlt, nicht nur zu Hause, sondern auch im großen Stil, das bringt ihn schließlich ins Gefängnis und seine Großmutter, der er ihren Lottoeinsatz klaut, ins Grab. In der Provinz (Issoudun) lebt der Bruder von Agathe. Er ist abscheulich dumm und verdammt reich. Während Philippe im Knast sitzt, machen sich Agathe und Joeph auf, um sich Jean-Jacques Rouget, dem Bruder Agathes, ins Gedächtnis zu rufen. Sie kommen keinen Augenblick zu spät, denn mittlerweile hat sich eine kompetente Fraktion an Erbschleichern, die attraktive Flore und der so schöne wie schlaue Maxence, abgehalfterter Bonapartist wie Philippe, an die Geldsäcke Jean-Jacques herangemacht. Agathe und ihr Sohn können die missliebige ménage à trois im Haus des Bruders nicht knacken, mittels eines phänomenalen Coups, den nur der glückliche Zufall so basteln konnte, verschwinden die beiden Pariser wieder aus der Provinz zurück in die Stadt, doch dann kommt der Oberverbrecher Philippe selbst nach Issoudun, um nach dem rechten zu schauen.

 

Kaum hatte der Leser Philippe verdammt als Witwentöter und Mutterzerstörer, so leiht er  ihm nun alle Sympathie bei dem Versuch, als gesetzlicher Erbe (Jean-Jacques ist nicht mit Flore verheiratet, von daher auch der deutsche Titel) die Machenschaften Flores und Maxences zunichte zu machen. Wer es dann immer noch nicht begriffen hat, dass zum Gelderwerb eine gewisse Brutalität gehört, den belehrt das Herzstück des Romans, der Kampf um das Erbe zwischen Maxence und Philippe. In Paris zurück, hat Philippe das gesamte Erbe auf seinen Namen schreiben lassen. Er ist sehr reich, und er macht gesellschaftlich erneut Fortune. Seine Mutter und sein Bruder merken nichts davon. Nach seiner Großmutter bringt Philippe auch noch seine Mutter ins Grab – durch den sparsamen Gebrauch eines kleinen Billets, ein Konzentrat an invektivem Humor, den die Mutter natürlich nicht versteht. Zum Schluss bringt der böse Bube auch noch Flore um, der er sich bloß bediente, um an das Geld zu kommen. Und so wird am Ende wahr, was Philippe an zwei Stellen des Romans als Thesen aufstellt, nämlich, dass es drei Wege gebe, Frauen zu töten. Frivolerweise werden diese Wege als Laster hingestellt, deren sich die Frauen ergeben und an denen sie sterben. Heute würde man das vermutlich anders beschreiben, nämlich als die Fähigkeit (hier: Philippes), ein bestehendes Gleichgewicht empfindlich zu stören und einen Mangel herzustellen: die drei hier beschriebenen Frauen sterben an Privationen: der Liebe (die Mutter), des Geldes (die Großmutter), der Macht (Flore).

 

Es gehört zu den Einsichten Balzacs, dass auch Liebe und Macht zuletzt Funktionen des Geldes sind. Und an was sterben Männer? Jedenfalls nicht an Frauen, erst die spätere Femme fatale wird diese Dignität erhalten. Hier sind sie auswechselbare Trümpfe in der sei’s dümmlichen, sei’s gerissenen Wirtschaft der Junggesellen.

 

Dieter Wenk (05.05)

 

Honoré de Balzac, Junggesellenwirtschaft, Berlin und Weimar 1988 (Aufbau), S. 5-387