31. Mai 2005

… und sechs ist eins…

 

„… auch haben ich und Karl taxiert, unter andern den Honig, der aber nicht alle werden wollte usw.“

 

Wenn es früher für bildungsverbürgte Subjekte noch heißen konnte, dass sie früher oder später in der Gesellschaft ankamen, an der sie sich ihre Hörner abgestoßen hatten, so darf man fragen, welches Präfix heute Geltung hat: Kommt man durch, oder einfach nur vor, vielleicht mit, oder verkommt man schlimmstenfalls? Die zu besetzenden Plätze werden ja immer weniger, und selbst die… Die Meister verendeten im Goethe’schen Bildungstross und landeten auf dem verallgemeinerten Schrotthaufen, den Rainald Goetz bereitstellte. Keine Turmaufsichtsbehörde kontrolliert die zu erwartende Einpassung, denn diese steht selbst zur permanenten Disposition. Man kann unter dieser Voraussetzung also versuchen, mehrgleisig zu fahren oder so zu tun, als ob es sowieso nur ein Gleis gäbe (so holt man die historische Notwendigkeit wieder herein); was erzähltechnisch dabei herausspringen mag, könnte man einen Kompressionsroman mit untergelegtem Generalbass nennen.

 

Dafür scheint Dietmar Daths Roman ein bisschen zu dick geraten zu sein (der es unter „Niemandsbucht“-Druckerscheinungsbild auf gut 2.500 Seiten gebracht haben würde – so sind es immerhin noch knapp 1.000). Wer aber den Hinweis des sehr nützlichen Personenverzeichnisses beachtet („verschiedene Namen bezeichnen nicht zwingend verschiedene Menschen“), wird bald erkennen, dass „Für immer in Honig“ den Versuch darstellt, eine Art Bildungsroman des 21. Jahrhunderts zur Diskussion zu stellen. Was den Generalbass angeht, als Metapher für Menschen, die sich selbst gleich bleiben und gar nicht aus anderen bestehen, wie das die meisten anderen vorführen, so scheint eine solche Punktierung ja von vornherein eine Entwicklung auszuschließen. Und doch ist Cordula Späth natürlich keine Idiotin. Sie ist vielmehr die Heldin dieses Romans, die aus allen, nicht nur musikalischen Rohren zurückschießt und all denen Energie zur Verfügung stellt, die noch dem alten Bildungsprogramm verhaftet sind.

 

Dieser Roman fragt also: Wie kriege ich deinen Arsch hoch. Denn grün ist die Hoffnung, und grün punktiert ist nicht nur der Buchumschlag, sondern auch die Farbe des ominösen VW-Busses, der nicht nur die anderen Helden, sondern auch den Leser mitnimmt in Bereiche, die, wenn nicht jenseits jeder Vorstellung, so doch noch jenseits des alltäglich Erlebten sind. Die ersten Fahrzeuge, die in diesem Buch auftauchen, sind also ganz leicht wiederzuerkennen, die letzten sind es nicht. Denn dazwischen liegen einige Revolutionen, Katastrophen, Konterrevolutionen, deren Vertreter aus diversen Fernsehserien bekannt sein dürften, die den Sprung in die wirkliche Wirklichkeit aber noch nicht geschafft haben. Wie steht es aber mit der wirklichen Wirklichkeit? Ihre positiven und negativen Varianten stellt dieses Buch ausgiebig vor. Personale Spitzenerscheinungen (Eliten) und Randexistenzen trennt oft nur ein unscheinbarer Hauch. Das ist eine der schönen Beobachtungen und Erkenntnisse des Romans: Keine rechte Sau ist dazu verdammt, eine solche ewig bleiben zu müssen.

 

Man kann hier viel über Chemie lernen, ohne dass man dauernd Gleichungen lesen muss (dafür gibt es schöne Grafiken und Collagen zu sehen, die so nebenher zeigen, dass man auch etwas tun muss, um bestimmte Dinge zu machen). Rechte Gesinnungen wird man nicht finden, dafür ist das Buch zu links, und außerdem gibt es die so genannten „W“, die einfach nur straight nach vorne gehen und vorführen, dass es weniger darum geht, sein Packerl zu tragen, als es erst einmal aufzuschnüren und zu schauen, was drin steckt. Dann kann man nämlich richtig loslegen. Vielleicht ist das auch nur eine Ideologie, aber wer auch die aufgibt, wird zu denen gehören, denen Cordula Späth keine Träne nachweint. „Für immer in Honig“ ist also kein realistischer Roman, aber wer versuchen wollte, zu beschreiben, was für ein Roman, hätte es einfacher zu sagen, was er nicht ist, denn im substantiellen Bildungsroman steckt natürlich alles drin. An erster Stelle der Autor selber samt seiner bisherigen Romanproduktion von „Cordula killt dich“ bis „Schwester Mitternacht“ (gemeinsam mit Barbara Kirchner, in deren ,Implex’-Verlag „Für immer in Honig“ erschienen ist), Schlüssel- also, daneben Horror-, Splatter-, Sciencefiction-, Liebes-, Intrigen-, Bekenner-, Überforderungs-, Aus- und Einsteiger- und vor allem Durchhalteroman. Denn manchmal möchte man das Buch auch einfach nur in die Ecke schmeißen (aber erst ab Seite 500, vorher gilt nicht). Der ganze Israel-Teil im zweiten Großabschnitt ist doch sehr langatmig (die Skira-Episode), und wer den üppigen Zombie-Kram selbst auch allegorisch nicht recht überlesen mag, hat an diesem Dath vielleicht nicht so viel Spaß wie an anderen. Aber wer redet von Spaß? „Life is not a cocktail-party.“

 

Dieter Wenk (05.05)

 

Dietmar Dath, Für immer in Honig. Roman, Berlin 2005 (Implex-Verlag)

 

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