30. Mai 2005

Generation Vorkrieg

 

Internatsatmosphäre, Eliteschüler, gebildete Späße, damit auch Schreibantizipationen, Kontakte zu Größen. Nicht nur touristische Bindungen zu Spanien, Deutschland und Italien. Überzeugt von der kulturellen Größe Frankreichs. Wenn man schon vorher weiß, dass der Autor im Februar 1945 unter die Guillotine kam, wegen Kollaboration, Judenhass, dann ist man ständig auf der Suche nach den „entlarvenden“ Stellen. Gut, Wörter wie Faschismus etc. tauchen häufig auf, aber das ist kein Fahnengebrauch, da geht kein pathetischer Atem. Aber vielleicht die Reise nach Deutschland? Ein ganzes Land voller Fettnäpfchen? Und schließlich noch die Begegnung mit dem Führer selbst? Aber irgendwie ist man auch hier enttäuscht. Die Beschreibung des Landes und der Leute klingt wie aus zweiter Hand, ein mythologischer Riegel klemmt zwischen dem Blick und dem Wort. Germania nicht datierbar. Das, was man heute Retrofuturismus nennt. Eine Idee aus der Zukunft, die mit quasi-mittelalterlichen Gewändern daherkommt. Eine merkwürdig gewichtslose Vorstellung, die die Deutschen da bieten. Lagerfeuerleicht. Ganz ohne ideologisches Gewicht. Naturhafte Selbstverständlichkeit. Und ganz ohne Frauen, wie bei Goetz in ‚Kontrolliert’. Und man muss nicht Eva Braun sein, um die Augen des Führers einzigartig zu finden. Also nicht nur die Hände. In die Augen kann man immer schön viel reinstecken. Sie werden immer antworten mit dem Glimmer des Versprechens. Das ist wie bei einem Gedicht.

 

Und das hat auch Brasillach genau gesehen. Der Nationalismus, nach ihm, hat Bilder zu produzieren, ob sie gut oder schlecht sind, ist egal. Wichtig ist, dass sie ankommen. Und das hat der Faschismus geschafft, anders als der aus dem Negativen, aus der Dialektik schöpfende Kommunismus. Dadurch war er auch – mit allem Schlimmen, was dazugehörte – effizienter und zeitgemäßer. Er ist der Vorläufer, aufgrund seiner Bildfixiertheit, des heutigen digitalen Faschismus. Dieser hat das Politische restlos zerstäubt, ausgefiltert, ins CMYK-hafte ästhetisiert, das Massenhafte entterrorisiert. Er ist die Light-Form, die Demokratie mit der digitalen Bügelfalte. Wichtig ist, dass die Wörter noch da sind, auch wenn sie auf nichts mehr treffen, was sie repräsentieren könnten. Alle wissen noch, dass es (mindestens) zwei Welten gibt, aber von Bedeutung ist nur noch die, die im antiken Sinn keine hatte, die nachgebildete, die mimetische, die von der ersten Welt restlos abhängige. Was wir heute an der zweiten haben, konnte man damals noch nicht ahnen, auch wenn das Prinzip eben schon so alt ist wie die Welt selbst. Der Schwimmeffekt der Verdrängung, Zielorientiertheit, Antibuddhismus. Verlagerung des Agierens nach außen. Oder auch umgekehrt, die Hineinnahme des Außen nach innen. Bei denen, die spielen können.

 

Irgend so ein merkwürdiges Bild muss auch Brasillach in Deutschland gesehen oder in es hineingesehen haben. Ein Buch, das durchaus anregt. Ein Erinnerungsbuch, dem man abnimmt, dass es mehr sein will als subjektive Memoiren, ein Poproman, geschrieben zu Zeiten, als die Popularität unter schlimmsten Vorzeichen stand, in den Augen und Ohren der späteren Popart.

 

Dieter Wenk (12.00)

 

Robert Brasillach, Notre avant-guerre. Mémoires, Paris 1941