27. Mai 2005

Prolls & Trolls

 

Authentizität war eigentlich noch nie auf dem Grunde von Bierdosen zu finden. Alkoholismus ist bundesdeutsches Kulturgut, da ist nichts Dolles dran und ’ne ehrliche Schreibe, also ohne Schnörkel und Intellektuellenscheiß und Theoriekack, pralles Leben halt mit prallen Muschis und überhaupt Hauptsache prall mit oder ohne Johnny Guitar Watson kann super sein, sollte man aber auf keinen Fall mit „feinsinnig“ verwechseln. „Einmal fliegen noch“ ist demnach keine Story für Germanisten (hier aufhören zu lesen!!!), weil den Studenten-Weicheiern darin gern mal das Nasenbein gebrochen wird. Studenten also egal, Malocher gut, Boxer gut – hey welcome: Boxerinnen –, Mongolen super, Schwedinnen sexy, Romantik: Topp!

 

What the Hell is This

 

„Einmal fliegen noch“ von Björn Ludwig ist im Killroy Media Verlag neu erschienen und Teil einer sorgfältig gestalteten Hardcover-Serie namens „10 + 1 Stories“. Wer Killroy Media kennt, weiß, dass es sich hier um Underground-Literatur handelt. Literatur also, die sich in Inhalt und Form bewusst einer Massenkompatibilität entgegenstellt, Literatur von Feuilletonhassern und Suhrkamp-Verweigerern. Der Verlag existiert seit 10 Jahren mit einem vielfältigem Programm, über das eine gut und übersichtlich gestaltete Webseite Auskunft gibt. Verleger Michael Schönauer schuf bereits vordem wesentliche Strukturen für ein Netzwerk, das sich Mitte/Ende der 80er als „Social Beat“ in zahlreichen Lesungen, Festivals, Open-Mike-Contests und Fanzines etablierte. Literatur wurde zum Ereignis und zur Performance. Bildende Kunst, Tanz, Musik und Dichtung als Elemente des literarischen Events. Also: Slam-Kultur mit der klassischen Faust-aufs-Auge-Mentalität, aber auch mit einem gut Teil politischen Engagements. „Social“ war damals wichtig, Literatur auch als Anliegen der „Underdogs“, die schreiben, wie ihnen beliebt, ohne dafür einen Magister oder einen Schulabschluss in der Tasche zu haben. Wichtige Sache also und hey! immer noch aktuell – und was also passiert 2005 in „Einmal fliegen noch“?

 

 

Gangster(s) of Love

 

Geile rothaarige Polenbräute gibt’s nicht gerade wie Sand am Meer, durstige Männer gibt es viele. Und die meisten träumen natürlich davon, mal mit so einer... Glück hat, wer noch nicht ganz so aussieht wie die Aldi-Eckensteher, also eher fesch, Muckis sind nicht unwichtig und ein Herz für Frauen, die irgendwie krass drauf und in Form sind.

 

Rissa ist in Form, rothaarige (echt!) Boxerin, harte Vergangenheit und wird kennen gelernt von Nils, Halbschwede, quasi arbeitslos und Alki. Nach zahlreichen Orgasmen, Tiefschlägen, Prügeleien und Trinkgelagen wird eine Reise gemacht: Hatte doch Lina, Nils’ schwedische Exfreundin ihm mal die romantische Geschichte erzählt von dem Pärchen, das sich vom Preikestolen in Kvernaland 600 Meter tief zu Tode stürzt. Es dauert nicht allzu lang, da schlägt diese Idee auch bei den Helden durch. Perfekt inszenierter Triumph des Elends, als Rissa gegen Boxmonster Heike zu Boden geht, Schaumkrönung die vermasselte Taxifahrprüfung von Nils, und mit den nötigen 12 000 Mark aus einem Banküberfall geht es ab nach Schweden zum Doppel-Liebes-Selbstmord.

 

 

It Takes 2

 

Schade ist, dass die interessanteren Stellen der Story vom Autor irgendwie übergangen werden. Die Fickszenen sind Untermalung des Heldenlebensgefühls, mittelappetitlich, nicht mal pornografisch, wobei es doch spannend hätte sein können, was da nun mit den Rasierklingen im Bad passiert. Der Banküberfall versandet in fünf Zeilen, in Ordnung, wir alle haben schon viele, viele Roadmovies gesehen, aber trotzdem. Wir lernen auch: Kaputte Kindheit macht kaputte Leute. Held und Heldin, jo!, echt krasser Hintergrund, beide. Stimmig, aber im Grunde braucht man zum Saufen so was gar nicht, allein die Bundesdurchschnittsfamilie kann einen ja schon in den Wahnsinn treiben.

 

Was diese Story zur guten oder schlechten Story werden lässt ist, ist Geschmackssache, abhängig vom Sprachcode und den Erwartungen des Lesers. Studenten verhauen hilft da nicht. Auf den Berliner Couchen des Erzählers sitzen „textilfreie Frauen“, tun „unanständige Dinge“, haben „sensationelle Hintern“ und so weiter, dazu kommen auf Effekt bedachte Wortwitze, vermischt mit ungeraden Sentenzen wie: „Nahezu alles im Leben verläuft brutal antizyklisch.“

 

Eine zutiefst unwahre Behauptung angesichts eines Helden, der die „Alkspirale“ kreiseln lässt. Okay, kann man sagen, nicht jeder liest mit der Lupe, aber wozu sonst soll man sich eigentlich Mühe geben, ich meine richtige Mühe geben: Wenn schon, will man den Dreck und das Blut und den Schmerz und das Delirium über die Worte direkt ins Hirn gespritzt bekommen. Oder vielleicht doch nicht? Vielleicht doch lieber einfach eine tolle Story, die man gemütlich mit einem Sixpack beinuckeln kann, dann sich ein bisschen in Stimmung bringen, geile Mucke auflegen, Piste gehen, Filmriss oder Ficken (schauen wir mal, was kommt). Antizyklisch, hm?

 

Wichtig für jede Road-Story sind noch die musikalischen Vorlieben, vor allem die des Helden natürlich. Seine Gefährtin hört Techno, eigentlich interessant, aber welchen Techno? Egal! Musik und Identität, da liegen die dicken, alten Hunde begraben: Bon Scott, Mr. Guitar Watson, die Jazzmeister, alle immer noch oder eben deshalb göttlich, klar und kein Einwand. „Feinster Hiphop“ ist prima, 2Pac und A Tribe called Quest, den Rest bitte selber nachlesen (Brit-Pop-Hörer: Lasst es bleiben). Punkt ist der, hier werden klare Grenzen gezogen, neu sind sie nicht. Und Faux Pas: Wer, egal wie besoffen, bei Frank Zander und Status Quo ins Schunkeln gerät, outet sich leider unwiderruflich als Spießer.

 

Stick to Your Local Calls (?)

 

Sprache und Handlung in „Einmal fliegen noch“ sind plakativ; das mögen viele, die sich gegen die blutarme und fantasielose Prosa gewisser „arrivierter“ Literatur abgrenzen möchten. Schade ist es jedoch, wenn diese „Stories aus dem Untergrund“ aus der Welt der Loser und Alkies, der Freaks und der KämpferInnen in eine Sprachwelt einzementiert werden, die sich in ihren vordergründigen Gesten nicht weiter von einer RTL-Soap unterscheidet. Sex-Kitsch und Klischees pflastern den Weg ins Verderben, auf dem das Pärchen unaufhaltsam seinem letztem Höhepunkt entgegenrollt, in einem Peugeot 106 XT, Sonderedition mit Alufelgen.

 

Oder: Soll das so sein? Ist vielleicht die politische Botschaft – und jede Sprache und jede Story birgt eine Politik in sich –: Ihr da drüben, sprich Scheiß-Toscana-SZ-FAZ-Fraktion (hm, oder wer ist eigentlich noch gemeint?) fickt euch ins Knie und wir ficken uns ins Knie, und das bleibt so bis ans Ende aller Tage!?

 

Na gut, dann schauen wir noch mal, was die Liebe so macht in Ludwigs Erzählung: Liebe ist es ja in jedem Fall zwischen Held und Heldin, das kommt durch und freut. Und die Fahrt nach Schweden: prima. Besuch bei den Eltern der Ex mit Ex: schön. Finale Nacht inklusive Aufklärung eines schrecklichen Missverständnisses: selber lesen. Das Ende... Ich sage nur: Besser wär’s, sie wären gesprungen. Was gibt es eigentlich zu holen in dieser Welt? Was wollen die? Eine friedliche Existenz ohne Delirium, Kriminalität, Schlägereien? Nur Ficken und Arbeiten? Ist das nicht echt öde? Aber okay, wen interessiert schon das Danach, wenn die Story prall ist. In diesem Sinne: Skol!

 

Gabi Schaffner

 

(Zwischentitel by Johnny Guitar Watson)

 

 

Björn Ludwig: Einmal fliegen noch, Killroy Media Verlag 2005

 

www.killroy-media.de