23. Mai 2005

Globalisierung

 

Man kann behaupten, die Globalisierung sei eine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Man kann aber auch einen Ausflug nach Schleswig ins nagelneue Globushaus machen und dort betrachten, wie weit diese Erfindung tatsächlich zurückliegt. Globen sind Protokolle einer permanenten Offensive der Entdeckungen und Eroberungen. „Es ist die Eroberung der Welt als Bild“ (wie Heidegger sich zum Wesen der Neuzeit äußerte).

 

Der Globus, der um 1650 im Barockgarten des Gottorfer Schlosses als Weltwunder gefeiert wurde, wird am Sonntag nach dreijähriger Rekonstruktionszeit wieder in Betrieb genommen. Drei Meter Durchmesser hat die Stahlkugel, auf der die damals bekannte Erde wiedergegeben ist. Regionen, die noch nicht von Forschern erkundet waren, sind von Fantasiegeschöpfen bevölkert. Im Indischen Ozean, neben den vagen Konturen Australiens, gibt es eine Klappe. Man duckt sich hindurch und quetscht sich im Innern der Welt auf eine schmale rund laufende Bank. 12 Personen soll der Globus fassen können. Die Seeungeheuer bleiben draußen, es wird auch so ungeheuer stickig, wenn die Lüftung, die es im 17. Jahrhundert aber auch nicht gab, abgeschaltet ist. Die Ozeanpforte schließt sich, und nun beginnt eines der ersten Planetarien der Welt seine Wundermechanik in Gang zu setzen. Sternkreiszeichen wälzen sich prächtig über den Himmel, die Sonne, eine kleine Quarzkugel, läuft in acht Minuten um einen herum, auf dem Mitteltisch kann man die Uhrzeit ablesen. Die Ekliptik neigt sich freundlich über einen. Da tut man immer so aufgeklärt und neujahrtausendschlau, grundlegende physikalische Termini, wie Äquinoktialpunkte, hat man immer noch nicht verstanden. Das kann man hier nachholen, in einem 450 Jahre alten technisch und künstlerischem Wunderwerk, konzipiert vom Hofmathematiker Adam Olearius, für Herzog Friedrich III (1597–1659).

 

Der einzigartige Globus verschaffte den Schleswiger Herzögen unter den europäischen Gelehrten großes Ansehen. Noch 1713, etwa 50 Jahre später, erbat sich Zar Peter der Große den Globus als Geschenk nach der militärischen Niederlage der Schleswiger. Das durch Feuer, Kriegswirren und weite Reisen beschädigte Original steht, vielfach Restauriert, noch heute in der Petersburger Kunstkammer.

 

Zwei neu entdeckte Abgründe, ein kosmologischer, ein bodenloses Außen, und ein ethnologischer, ein wildfremdes Anderssein, kreisen Rücken an Rücken zum Ruhm Schleswig-Holsteinischer Macht und Wissenschaft. Man besteigt die Welt durch das Wappen der Gottorfer, welches die Ozeanklappe zum Himmel ziert. Noch sitzt der Herzog also im Mittelpunkt des irdischen und kosmischen Koordinatensystems, in häuslich bekannter Welt und ptolemäischer Himmelshöhle, aber Keppler, der berühmte Physiker, äugt im Innern bereits kritisch aus einer Kartusche. Seine Sternkarten dienten den Rekonstrukteuren in Gottorf beim Einmessen der Sternbilder. Der Gottorfer Himmelsglobus ist der erste, der die Sternbilder nicht spiegelverkehrt wiedergibt. Man bevorzugte sonst für Himmelsgloben die göttliche Perspektive, die das Sternenzelt von außen zeigt.

 

Der Globus ist ein Kunstwerk mit wissenschaftlich exaktem Anspruch, ein gesellschaftliches Ereignis. Seine Inszenierung im barocken Gesamtkunstwerk mildert die erschreckende Erkenntnis vom Verlust der Peripherie. Denn der Globus ist das Bild einer Welt, der die sphärische, göttliche Hülle fehlt. Die Gesamtanlage, der sensationell riesige Globus mit Wassermühlen-Antrieb, das Lusthaus im terrassiert italienischen Garten mit ziseliertem Buchsbaumparterre, es war der erste Barockgarten nördlich der Alpen, erzählt mehr von barocker Prachtentfaltung denn von existenziellem Ausgeliefertsein. Friedrich III war schlau, dass er das Himmelszelt als Schlupfort der Menschen im Innern des Globus anlegen ließ. Man kann seine arme Seele trösten, in dem prachtvoll bemalten Innenraum. Die kosmische Bergung ist perfekt und immer noch wunderschön. Die Konsequenzen der Globalisierung können ein weiteres Mal erfolgreich verdrängt werden.

 

(Nora Sdun)