14. Mai 2005

Böser Bube, nettes Buch

 

Nett. Das Wort hat heutzutage keinen guten Ruf. Klar. Nett ist das Lieblingswort von Girlies oder jung gebliebenen Frauen, die es dann zumeist als Antwort auf die Frage verwenden, wie ihnen das und das oder der und der gefallen habe. Nett wird dann zu Nä-hät. Nett ist der Typ, der gerade vorbeigeht. Nett ist das Lokal, in dem man gerade sitzt. Ein Blick ins etymologische Lexikon klärt auf: Nett – das heißt „rein, sauber, lauter, rechtschaffen, höflich“. Nett steht insofern nicht nur für eine Gruppe der heutigen Gesellschaft, sondern auch für die Produkte, die diese vorzugsweise konsumiert. Nette Musik, nette Filme, nette Bücher.

 

„Die Haushälterin“ von Jens Petersen macht auf den ersten Blick den Eindruck eines netten Buchs. Eine Coming-of-age-Geschichte aus der gehobenen Mittelklasse Hamburgs, kombiniert mit einer Menage á trois, deren Erotik stets nur angedeutet bleibt. Philipp heißt der sensible Junge, der hier die Geschichte erzählt. Seine Mutter ist schon seit einiger Zeit tot, der Vater, nachdem er arbeitslos geworden ist, wird zum Alkoholiker und Hobbyliebhaber. Als Philipp eine Haushälterin engagieren möchte, um den überforderten Vater zu entlasten, steht eines Tages eine junge Polin vor der Tür, Ada. Marke: wild und geheimnisvoll. Es kommt, wie es kommen muss: Vater und Sohn verlieben sich in die junge Frau. Was folgt, sind die schmerzhaften ersten Liebeserfahrungen Philipps, der nicht so recht weiß, ob Ada mit ihm spielt oder tatsächlich etwas für ihn empfindet. Baden im See, Sommergewitter, Partys, Tränen, Wut. Das ganze Paket eben. Am Ende: Entfremdung vom Vater, der Ada mit plumpen Mitteln verführt hat.

 

Wie gesagt: auf den ersten Blick eines dieser Bücher, die man gerne mal so in der Bahn liest, am Balkon in der Sonne, und die irgendwann vielleicht in schönen Bildern für das ZDF mit Tom Schilling in der Hauptrolle verfilmt werden. Und das an sich wäre ja nichts Schlechtes. Denn auch wenn nicht so ganz klar ist, warum jede noch so nebensächliche Kleinigkeit in dem Buch minutiös beschrieben wird, hin und wieder platte Maximen stören, die Figur des Vaters recht oberflächlich bleibt und der Schluss etwas unmotiviert und disproportional zum Rest des Buchs erscheint, das aus unerfindlichen Gründen „Roman“ und nicht „Erzählung“ genannt wird – „Die Haushälterin“ ist ein erstaunlich solides und flüssig geschriebenes Debüt.

 

Und dann gibt es Momente, die aus dem netten ein richtig gutes Buch machen. Nette Bücher irritieren nicht. Nette Menschen sind „höflich“, „sauber“. Gar nicht nett und im Ansatz verstörend ist aber die Figur des Ich-Erzählers: Philipps Verhalten ist manchmal von einem pubertären Selbstzerstörungstrieb bestimmt, der schließlich zu dem für alle Seiten desaströsen Ende führt; hin und wieder schleicht sich in den ansonsten unbeschwerten Ton des Buches feine Melancholie, zum Beispiel wenn Philipp aus dem Fliegengitter tote Insekten klaubt, die zu Staub zerfallen. „Die Haushälterin“ erscheint so wie das Gesellenstück eines sehr begabten Autors, auf dessen Meisterstück man sich schon freuen darf.

 

Thomas von Steinaecker

 

Jens Petersen: Die Haushälterin. DVA 2005

 

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