Jiri Dokoupil ist okay

 

Jiri Dokoupil ist okay. Die Ausstellung, die mit vollem Titel „Dokoupil: Malerei im 21. Jahrhundert – Werkschau 1981 – 2005“ heißt, ist ordentlich sortiert, Themenblöcke sorgen für Übersicht und versuchen, auch Humor in die einzelnen Kisten zu bringen. Durch wenige Wandlücken an bestimmten Stellen, der vom Künstler selbst konzipierten Ausstellungsarchitektur, wird dem Verlangen nach Offenheit entgegengekommen und das passt zum Gezeigten.

 

Einst, es ist noch gar nicht lange her, war diese Offenheit im Kunstwerk und später dann auch in dessen Präsentationsformen, eine erkämpfte Anti-Spießer-Errungenschaft, die sich gegen Ideologie und bürgerlich - symbolische Bedeutung wandte, so will ich das zumindest verstehen. Die Folgen waren Konzept-Art, Fluxus und Beuys, was ich im einzelnen hier nicht bewertend ableiten will. Es sei jedoch erwähnt, da es in dieser Ausstellung durchaus Konzeptuelles (Dokumenta-Bilder), Fluxushaftes (Reifenabdrücke, Seifenblasen) und Beuysianisches (Muttermilch und Fruchtsaft) zu finden gibt, allerdings zeitlich nachgeordnet und leider nicht zitathaft im eigenen Konvolut implantiert.

 

Aber noch mal zurück zur so genannten Offenheit: Man hat doch heute oft den Eindruck, dass diese einst erkämpfte Offenheit ein selbstverständliches Erbe ist. Bei der hier besprochenen Ausstellung sorgt eine gewisse Strenge mit ausreichendem Erfolg dafür, dass Bewegtheit nicht in Beliebigkeit umgedeutet werden kann. Also Werkphasen werden als Experimentierphasen sortiert. Am Eröffnungsabend tauchte tatsächlich die Frage auf, nicht bei mir, sondern bei einem anderen, ob denn hier eine konsequente Linie überhaupt auszumachen sei? Ich lass es jetzt mal, da etwa einen generellen Bildbegriff zu bemühen oder etwas von wilden Vielheiten zu theoretisieren, zumal die Ausstellung ganz und gar nicht wild ist, und berichte lieber, dass man chronologisch von hinten in die Ausstellung tappt. Ich lese nicht gerne Zahlen beim betrachten von Dingen, die jemand oder mehrere Kunst nennen, daher keine Garantie, ob sich diese Rückwärts-Nummer konsequent durchzieht... Im Eingangsbereich hängt jedenfalls ein mit Kerzenruß auf schrill-grünem Hintergrund gemalter Leopard jüngeren Datums. Ein schönes Bild, finde ich, weil die bekloppte Mal-Methode es als einen Effekt mit sich bringt, dass die Abbildung in Bezug auf das Abgebildete etwas Flüchtiges, Irrisierendes erhält. So flüchtig wie es das Abgebildete selbst ist, also wird hier mal wieder die Kluft zwischen Bezeichnetem und Bezeichnendem deutlich?

 

Ich finde es gar nicht wichtig, dass ein Leopard „in echt“ meistens vorm Menschen flieht und in freier Wildbahn schwer zu beobachten ist, sondern interessanter erscheint der Umstand, dass der Gehalt unseres Bildes vom Leoparden oder von anderen objektiven Tatsachen vor unseren Augen verschwinden kann ...oder dass manchmal wir die uns gewohnten Bilder in die Flucht schlagen; daher erscheinen mir auch die vielen mit derselben Technik gemalten Presse-Bilder in dieser Ausstellung von Belang. In Zeiten photografischer Überpräsentation (Photo-Trienale) und reiner Archiv-Kunst bitte ich diese Einstellung zur Welt als Bild und Vorstellung trotz Gewohnheit unbedingt hoch einzuschätzen, da wir kritische Sensibilisierung gegenüber den Wahrnehmungsprothesen und -erweiterungen schon immer, immer noch und schon wieder dringend brauchen beim Navigieren durchs imaginäre Info-Überangebot euro-amerikanischer Prägung. Also hier in Hamburg wird ja alle drei Jahre die Ideologie der Abbildlichkeit lang und breit ausgehängt, dies bitte ich zu bedenken und von daher immer noch die Malerei zu schätzen und auch mal den Einfluss des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ auf die Deichtorhallen einzuschätzen.

 

Als ich die Ausstellung von Jiri Dokoupil besuchte, hatte ich gerade seit 2 Tagen eine neue Brille. Meine Sehstärke hat sich, glaubt man der Optikerin, geändert, allerdings nur auf einem Auge. Das führt in den ersten Tagen mit neuer Brille zu leicht eigentümlichen Wahrnehmungen, vor allem wenn man sich farbige Bilder in weißen, gut ausgeleuchteten Räumen anschaut. Eine Verschiebung zwischen beiden Augen ereignet sich, und ich wünsche jedem Maler ähnliche Erlebnisse. Sicher hat Dokoupil ähnliches auch schon erlebt, keine Ahnung welche Dioptrin-Werte seine Augen haben, aber ich will damit nur sagen, dass die Irritationskraft seines Kunstansatzes erst durch meinen Sehfehler vollendet wird. Ich kann da nichts dafür, aber Pollock-ähnliches mit all-over Autoreifenspuren zu erzeugen finde ich nicht sehr überraschend, da hilft nur schielen, dann wird’s besser.

 

Ein weiterer Rekurs auf die jüngere Kunstgeschichte lässt in den Peitschenbildern gestische Malerei und Fluxus-Aktion erinnern. Dies findet eine Ergänzung in den sensiblen Relativ-Großformaten der Seifenblasen-Bilder. Schön finde ich immer, man möge mir diese Gewohnheit verzeihen, wenn eine Ausstellung mich verschiedene Zeitlichkeiten der Bild-Genese vorstellen lässt und dies nicht bloß als Stimmungsmacherei betreibt. Also d.h. konkret, dem sanften Platzen farbiger Seifen-Blasen beizuwohnen, das kann ich mir gut vorstellen, auch ohne die Schaumschlägereien von Sloterdijk gelesen zu haben (hab ich aber). Dann die Eingriffe in diesen Prozess abzuwägen und so meinen situativen Ort in der Welt unter Gesichtspunkten des Zufälligen wahrnehmend zu empfinden, ist doch schön...meine Worte dazu können diese Erlebnisse in unmittelbarer Gegenwart nur gräulich wiedergeben, aber ich möchte die ökonomischen Bedenken zerstreuen, so etwas sei nichts weiter als intimes Mono-Spektakel.

 

Als Person ist man im Betrieb um Steuerung bemüht, im Atelier darf, soll und muss der Mensch (= jeder Künstler?) Subjekt sein, wer das nicht kennt oder versteht, nimmt der Kunst die Möglichkeiten, etwas gegen betriebsystematische Vergewaltätigung wenn schon nicht zu unternehmen, so doch wenigstens zu zeigen. Es gibt subjektive Tatsachen, trotz Photografie und es gibt auch eine Photografie der subjektiven Tatsachen. Von diesen Möglichkeiten jenseits des Objektiven, aber mit ebenso fragwürdigem wie notwendigem Halt am Gegenständlichen, gibt die Schau des Jiri Dokoupil einen material-visuellen Eindruck, manchmal etwas brav vielleicht, dadurch aber immer liebenswert. Es ist okay, aber nicht ganz so einflussreich, wie die Ausstellungsmacher in ihrer Ankündigung uns glauben machen wollen.

 

„Helmut Schmidt - Ein Leben in Bildern des Spiegel-Archivs“ heißt die Ausstellung nebenan in der gleichen Halle und zeigt im Stil der journalistischen Objektivität den Werdegang einer Person Kantischer Prägung. Ist Helmut Schmidt auch okay?

 

Oliver Ross

 

DOKOUPIL: Malerei im 21. Jahrhundert – Werkschau 1981 - 2005, bis 28. August 2005, Deichtorhallen, Hamburg