24. April 2005

Wenn Männer Karussell fahren

 

Warum ist die Welt nicht so perfekt wie das Verbrechen, das gegen sie begangen wird? Wäre sie es, gäbe es keine Verbrechen (aber weiß man das wirklich?). Und weil die Welt vor allem schlecht und verkommen ist, bleibt dem Bösewicht nur der Traum vom perfekten Verbrechen, denn auch das Verbrechen zählt zur Welt. Genau diese Überlegung aus dem Reich der real existierenden Verhältnisse zählen für den nicht, der das perfekte Verbrechen plant. Was zur Obsession wird, möchte wie eine Haut über anderes gestülpt werden. Der zukünftige Täter hat alles vorausgedacht, er ist schlau, ein Meister von Rückkopplungsmechanismen, er baut ein Netz, das er ein wenig verrückt mit der Wirklichkeit verwechselt. Natürlich kann man vom inhärenten Scheitern seiner Idee nicht vorher mit dem Täter sprechen, das ist die Tragik des perfekten Verbrechens.

 

Und doch besticht der Plan rein ideell, von dem Bruno Anthony (Robert Walker) seiner zufälligen Zugbekanntschaft, dem frisch gekürten Tennisstar Guy Haines (Farley Granger), erzählt. Das perfekte Verbrechen, so Anthony, kann man nicht alleine begehen, man braucht zwei dafür. Zwei Täter und zwei Opfer. Und das ganze überkreuz. Jeder Täter ist des anderen Ausführungsorgan. Die Täter haben nichts miteinander zu tun, also scheinen die Morde völlig ohne Motiv. Taten von Irren womöglich. Jedenfalls nicht im normalen kriminallogischen Sinn zurückführbar. Jeder der beiden Täter, die mit der Tat, die sie selbst gar nicht begangen haben, wohl sofort in Verbindung gebracht würden, hätten dafür ein absolut sicheres Alibi. So weit die perfekte Theorie. Was die Wirklichkeit so verdammt wirklich sein lässt, ist die Schwierigkeit, für Konzepte Kandidaten zu finden. Nichts ist so eigensinnig wie wirkliche Verhältnisse. Wenn es möglich wäre, gehörte die gesamte Wirklichkeit in ein Heim für schwer Erziehbare. So was merken vor allem Planer, Ideologen, Erzieher etc. (die sofort zu perfekten Verdrängern werden). Verbrecher glauben, davon ausgenommen zu sein, weil sie im Abseits stehen. Vogel-Strauß-Fantasie.

 

Anthony merkt also erst gar nicht, dass sein Begleiter im Zug, Guy, der scheinbar vor dem gleichen Problem steht wie er selbst – nämlich dem, jemanden loszuwerden – damit anders umgehen wird. Bruno will von seinem strengen Vater befreit werden (Bruno hat ein ausgezeichnetes Verhältnis zu seiner Mutter, hehe), Guy möchte sich scheiden lassen (er liebt mittlerweile eine andere, die Senatorentochter Anne Morton), seine umtriebige Frau, die ein Kind von einem anderen erwartet, sich aber plötzlich nicht mehr von ihm – sie riecht den zukünftigen kapitalen Braten in Form ihres erfolgreichen Gatten. Diese Information genügt Anthony, um die Theorie in Praxis übergehen zu lassen. Und schon ist die erste Hälfte des perfekten Verbrechens ausgeführt: Bruno bringt Guys Frau, die noch einmal sehr schön ihre Läufigkeit – ausgerechnet ihrem zukünftigen Mörder gegenüber – beweisen darf, auf einem Rummelplatz um (sehr schön gefilmt aus der verfremdeten Perspektive der am Boden liegenden Brille der Erwürgten, deren Spiegelreflexe die Szene zeigt).

 

Jetzt ist Guy am Zug. So sieht das jedenfalls der dämonische Anthony, von dem sich möglicherweise Dennis Hopper später ein paar Bewegungsabläufe, besser gesagt robotische Züge aus dem Steifheitsregister, abgeschaut hat. Natürlich gab es nie einen faustischen oder was auch immer Vertrag zwischen Guy und Bruno, allein die Faktizität der bloßen Anwesenheit bei der Mitteilung der verrückten Idee macht Guy zum Beteiligten wider Willen. Er kommt da einfach nicht mehr raus, Anthony scheint ihn in der Hand zu haben: Entweder du bringst jetzt meinen Vater um, oder ich verrate dich, denn nur du hattest ein Motiv, deine Frau umzubringen. Nicht nur Guy merkt entsetzt, mit was für einem genialen Irren er es zu tun hat. Diese wunderbare Szene bei der Party, bei der Anthony aus dem Nähkästchen plaudert und beinah alles aus dem Ruder läuft, weil in einem fatalen Moment die Realität eine Perfektion zu haben scheint – die Schwester der jetzigen Geliebten Guys als verwirrendes Double der Ex-Ehefrau –, an die Anthony auch im Traum nicht denken konnte (auch ein unaufdringlicher Kommentar zum Thema Frauenwahl: Die männermordenden Ehefrauen stehen immer wieder auf, auch wenn man sie umbringt oder umbringen lässt oder sie eintauscht gegen weichgezeichnete Exemplare). Das ist im Grunde wie Lottospielen. Das Knacken des Jackpots ist der Sprung in der Theorie des perfekten Verbrechens. Der einzige Unterschied ist, dass man zum Lottospielen nicht verrückt sein muss. Vielleicht endet deshalb auch der Film nicht auf dem Tennis-, sondern auf dem Rummelplatz. Einmal noch spielen die Pferdchen verrückt, aber dann löst sich alles auf in Wohlgefallen. Nur das Karussell ist kaputt. Grandioses Finale.

 

Dieter Wenk (04.05)

 

Alfred Hitchcock, Der Fremde im Zug, USA 1951 (Strangers on a train; Drehbuch: u.a. Raymond Chandler; nach einem Roman von Patricia Highsmith)