22. April 2005

Was ist was

 

Joëlle Tuerlinckx und Willem Oorebeek im Badischen Kunstverein, Karlsruhe

 

Den Ausdruck „s’expliquer“ stellten Joëlle Tuerlinckx und Willem Oorebeek ihrer ersten künstlerischen Zusammenarbeit als eine Art Motto voran. Das Versprechen, sich zu erklären, sich zu entfalten, löste sich in den Räumen des Badischen Kunstvereins jedoch in ein komplexes Verweissystem auf, dessen rätselhafter Gestus bereits im Titel aufscheint: „Bild, oder. Mit dem Fuss in der Realität“ lässt sich ebenso wie die im Eingangssaal ausliegende Bildlegende, als poetischer Subtext zum visuellen Material lesen(1).

Der aufmerksame Gebrauch von Sprache kündigt die textuelle Struktur der Raum- und Bild-Installationen an. In einem Prozess des „Sehens und Gehens“, wie Tuerlinckx es formuliert, wurden die Koordinaten der Räume und ihres Inventars neu arrangiert und lesbar gemacht(2). Mit dem Eintritt in „Saal 1. Zeit 1“ ist man zunächst allein der Leere, Größe und Helligkeit des Raumes ausgesetzt. Erst die Entdeckung einer langen, an der Wand montierten Holzleiste führt den Blick zurück hinter die Eingangstür, wo ein fragiles Arrangement aus Wandbeschriftung und locker ausgeschnittenen, geometrischen Figuren zu sehen ist: „mobile Saallinie, 5 Elemente, vor Ort gefunden/ Holzlinie, Bodenwert/ Zeitfigur, schwarz/ Sammlung Kugel-Codes/ Doppelrund aus Licht (Barock)/ lokales Grün/ Richtungsschreiben/ anzeigende Figuren“(3). Den leeren Saal im Rücken, wird für den Betrachter in der Ecke die vage Zuordnung der Elemente zu ihrer Beschreibung zum Moment der Teilnahme. Ein kleiner, hellgrüner Kreis aus Papier lässt sich als das „lokale Grün“ des Kunstvereins identifizieren und verrät das den Arbeiten zugrunde liegende Kodierungskonzept: Fragmente von Plakaten, Einladungen und Katalogseiten werden mit gefundenen Gegenständen, farbigen Markierungen und hochgerasterten Papierausschnitten zu kurzen Notizen im Raum arrangiert. Die Umwidmung von gedrucktem Material aus dem Zusammenhang diverser Ausstellungen zu Kunstobjekten, zerstreut eine eindeutige Rezeptionshaltung: Die Materialität der einen Oberfläche wird gegen die andere ausgespielt.

Der Ansatz, den institutionellen Rahmen künstlerischer Produktion, vom Werbeplakat bis zur Museumsarchitektur, poetisch zu redefinieren, ist dabei weniger als institutionskritische Aktion zu verstehen. Viel näher liegt hier die ästhetische Verwandtschaft zu Marcel Broodthaers und seiner Praxis der Kombination verschiedener Zeichensysteme. Broodthaers ist in der Fülle von Bildmaterial als Referenzposition ebenso erkennbar, wie Tuerlinckx und Oorebeek sich auch selbst im Prozess der gegenseitigen Aneignung zitieren. Die im Erdgeschoss ausgestellten „Blackouts“, jene durch ein spezifisches Druckverfahren verdunkelten Bilder Oorebeeks, zeigen Motive aus Tuerlinckx’ Werk; sie finden sich wieder in den Stapeln kreisförmiger Papierscheiben aus Zeitungen, die wiederum zum Vokabular Tuerlinckx’ gehören.

Der Rundgang, von der neobarocken Bel Etage bis zu dem mit grellem Blitzlicht versehenen dunklen Kellerraum, gleicht einer Bewegung der Dechiffrierung: Die Variationen von Motiven und Materialien suggerieren trotz ihrer Vorläufigkeit eine unsichtbare Ordnung, deren Kategorien „raumzeitliche“ Wahrnehmungsparameter sind. Tuerlinckx und Oorebeek entwickeln eine ästhetische Sprache der Mehrfachkodierung. Sie provozieren damit die Offenheit, unkalkulierbare Überlagerungen verschiedener Zeichensysteme zu beobachten.

 

(1) Auch das gemeinsam produzierte Künstlerbuch zur Ausstellung enthält eine umfangreiche Bildlegende, die am Eingang des Kunstvereins an die Wand tapeziert wurde.

(2) Diesen Ansatz formulierte die belgische Künstlerin bereits 2002 anlässlich der Teilnahme an der Documenta 11 mit der Installation: „AQUI HAVIA HISTORIA - CULTURA AGORA 0: Hier haben wir Geschichte – Kultur hat 0. Ein Raum von 15 Min. 7 Sek., in 22 Schritten um einen gefundenen Satz.“

(3) Auszug aus der Bildlegende zu Saal 1.

 

Karolin Meunier

 

(Zuerst erschienen in: Texte zur Kunst, Nr.56, Dezember 2004)