20. April 2005

Bitte Choreografie

 

Eine Frau brät in der Sonne. Sie hat ein seidenes Kleid an, das aber ganz zerrissen ist. Ein Mann sitzt im Schatten, im Flur eines Hauses, das von einem Garten umgeben ist, der in einer „brutalen“ Neigung auf eine Ebene führt, die sich vermutlich bis hin zum Meer erstreckt, das man nicht sieht. Der Mann sieht die Frau, die ihn nicht sieht. Die Erzählerin sieht, dass die Frau den Mann nicht sehen kann. Das Licht. Die Frau, die am Boden liegt, drückt sich aus. Bringt sich in verschiedene Positionen. Der Mann kann alles sehen. Also weiß die Frau vielleicht doch, dass der Mann sie sehen kann. Dann fängt die Frau an zu schreien. Sie sagt jedenfalls nicht, dass sie Durst hat. Der Mann nähert sich ihr. Sie liegt jetzt in seinem Schatten. Dann nässt er sie. Fängt mit ihren offen stehenden Lippen an, netzt ihre Augen, ihre Brüste, und im Moment, wo der Strahl schon zu versiegen droht, im Moment, wo der Mann das Geschlecht der Frau triff, steigt noch einmal die Kraft und das Volumen und mischt sich am Ende mit einem anderen Saft. Die Frau schreit nicht mehr. Der Mann stellt ein Bein auf den Körper der Frau. Er rollt sie hin und her. Er drückt seinen Fuß auf die Stelle, wo das Herz ist. Dann steht er bewegungslos da. Der Mann malträtiert die Frau erneut. Sie fängt wieder zu schreien an. Dann sagt der Mann, dass er sie liebt. Er geht zurück ins Haus, setzt sich auf den Sessel im Schatten im Flur. Jetzt nähert die Frau sich ihm. Sie zeigt ihm alles, was sie hat. Der Mann ist sehr erregt. Beide sehen, was daraus geworden ist. Es ist groß und mächtig. Die Frau kommt näher und beginnt ihren Job. Der Mann ist fassungslos. Jetzt schreit er. Ist etwas passiert? Rache? Aber für was? Der Mann, wenn er um Hilfe schrie, dann, um den Hinzueilenden, aber wer könnte das sein, zu sagen, dass ihm gerade ein unsagbares Glück widerfahren sei. Die Frau sagt, dass sie ihn liebt. Jetzt ist der Mann wieder dran. Er soll sie schlagen. Er beginnt locker, die Schläge werden fester, vielleicht ein wenig so wie bei Frau Abramovic, aber mit mehr Leidenschaft. Der Mann sagt, dass er sie nicht mehr lieben wird, dass er sie irgendwann töten wird. Draußen kündigt sich ein Sommersturm an. Der Mann bricht weinend über der Frau zusammen. Unbeweglichkeit.

 

Und dann ist die Performance auch schon zuende. Ganz am Ende, so die Erzählerin, würde nicht nur sie den beiden zuschauen, sondern viele andere Frauen. Aber keine anderen Männer. Diese dreißig Seiten (große Buchstaben, großzügiger Rand) sind nicht unintensiv. Ein eigenartiges Pathos, das nicht lächerlich wirkt, durchzieht die Situation. Wenn man keinen Modern Dance mag, weil einem das zu aufdringlich, zu kitschig, zu übertrieben, zu operettenhaft ist, und man trotzdem etwas für wortlose Bewegungsspiele zwischen Mann und Frau übrig hat, die man so vermutlich nicht in den eigenen vier Wänden erlebt, dann wird man auf diesen Seiten genau die Diskretion und Intensität bemerken, die man im eigenen Halbschlaf zugleich verdammt und herbeisehnt. Eine andere Realität. Man weiß nicht, wo sich so etwas abspielen könnte. Dies ist keine Anleitung. Es ist Fiktion. Mit allen Mitteln der Wirklichkeit.

 

Dieter Wenk (04.05)

 

Marguerite Duras, Der Mann im Flur, dt. von Elmar Tophoven, Berlin 1982, (L’homme assis dans le couloir, Paris 1980)

 

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