17. März 2005

Gesetze der Stilpolizei

 

Hier sprechen sich drei Männer, Jahrgang 1955, mal richtig aus zu ihrem Lieblingsthema: Popmusik und Politik. Sie unterhalten sich über Platten, die sie (schon früh) gehört haben, deren Cover briefmarkengroß am Buchrand aufblitzen. Sie unterhalten sich über private Rituale, Philosophien, Erlebnisse und Phänomene der 60er Jahre bis zur heutigen Zeit. Der assoziative Flow bestimmt das Gespräch.

 

Und es fallen Sätze wie „Daß einem jemand von außen sagt: ‚Nach dieser Linie kannst Du Dein Leben sortieren’, da kannst Du ein Buttondown-Hemd, für das Du ein Faible hast seit Du zwölf bist, connecten mit einer Platte von The Jam mit einem Marvin Gaye-Stück.“ Als würde das einer Erlaubnis bedürfen. Von oben? Der Styleguide der Musikjournaille als Gott? Pop als Gott? Als Religion auf jeden Fall. „Für mich gehörte das zusammen, war ein Konglomerat, Dope rauchen, Kevin Ayers hören, mal sehen, was die RAF wieder gemacht hat. Das war für mich immer auch Glam“, wird Thomas Meinecke auf dem Buchrücken zitiert.

 

Wer Namedropping liebt, wird hier reichlich bedient. Man kann die kulturellen Signale mit anderen teilen oder für sich vereinnahmen. Man kann den Autoren alles mögliche vorwerfen: Kulturstalinismus, Vereinnahmung, Gut/Böse-Polarisierungen, Ausgrenzungen, Engstirnigkeit, moralisches Besserwissertum, ein neues altes Bildungsbürgertum und emotionale Blockadebefürwortungen.

 

FW: Ich leg das auf, alles indiskutabel, aber dann ist da mit einem Mal so ein Westernstück, ähnlich wie das von Prefab Sprout vielleicht, das mir gefällt.

TM: Aber das solltest du dann nicht zulassen.

KW: Da mußt du strenger sein mit dir.

TM: Da solltest Du den inneren Schweinehund in dir bekämpfen. Das darf nicht sein. Sonst findest du überall gute Musik. Wo kommen wir denn da hin?

FW: Genau das ist mein Problem.

KW: Aber bei sowas kann man sich auch selber blöd finden.

FW: Nein, gar nicht, ihr seid doch cool. Das ist doch ein toller Hinweis, Thomas, danke, weil, ich bin immer so jemand, der sagt: Die Tubes sind scheiße, aber die haben ein Stück gemacht, das finde ich okay.

TM: Es gibt keinen guten Song auf einer schlechten Platte.

 

Man erfährt nicht viel über das wirkliche Leben der Autoren, sondern nur über das durch Pop überstrahlte, verherrlichte. In einer grenzenlosen Vernarrtheit in das falsche Selbst werden hier musikalische Präferenzen zu einer Identity Card unter den Gesetzen der Stilpolizei. Das ist so, das war so ... schon seit Ende der 70er in der Musikzeitschrift „Sounds“.

 

Man mag sich darüber aufregen oder genüsslich amüsieren. Man kann jedem Satz ein „Ja, aber“ anfügen, ein „Neinneinnein“ oder Nicken. Man kann dieses Buch durchlesen, mittendrin anfangen und die angesprochenen Platten rauskramen und hören. Man kann Vergleiche anstellen zu eigenen Erfahrungen. Man kann das Gesagte aber auch einfach wieder vergessen. Das Buch existiert und geht im April auf Lesereise.

 

Carsten Klook

 

Frank Witzel, Klaus Walter, Thomas Meinecke: Plattenspieler, Nautilus 2005

 

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