12. März 2005

Dadaistisches Geschichtsspiel

 

Wussten Sie, dass Hitler nur einen Hoden besaß, dass er unter Drogen stand und vorhatte, in Mexiko einzumarschieren? Der mexikanische Bestseller-Autor und Che-Biograf Paco Ignacio Taibo II mischt in seinem neuen Roman „Die Rückkehr der Schatten“ erfrischend unbekümmert geschichtliche Fakten mit aberwitziger Fiktion.

 

Mit Absicht skurril sind seine Protagonisten. Ein einarmiger Dichter, der noch nie in seinem Leben ein Gedicht geschrieben hat, dafür Porno-Romane veröffentlicht und hauptberuflich als Agent der mexikanischen Abwehr arbeitet. Ein Journalist, der gerne Mark Twain wäre und sich von jüdischen Intellektuellen über die esoterischen Wurzeln des Nationalsozialismus informieren lässt. Und nicht zuletzt ein Chinese, der Leguan genannt wird und im Urwald einen Rambo-Krieg gegen Braunhemden führt. Gemeinsam kämpfen die aufgeklärten Linken Mexikos im Jahre 1941 gegen den mystischen Sumpf okkulter rechter Gruppen und deutscher Spione, die tausende Kilometer entfernt vom Obersalzberg ihre Befehle erhalten.

 

Die Geschichte ist so wahnsinnig wie der Erzähler in seiner Gummizelle. Hier prallen die Passagen der wechselnden Erzählperspektive von den Wänden ab und prasseln auf den verblüfften Leser. Der Chinese leckt zwischen zwei Schusswechseln an seinem Salzstein, und ein durchweg alkoholisierter Hemingway hämmert, wegen seiner Hämorriden im Stehen, auf die Tasten seiner Schreibmaschine. Fleißig sind die Helden. Einige sind es nur, um nicht zu schlafen. Den Ungeheuern aus den Träumen geht man am besten aus dem Weg, indem man Pläne schmiedet. Und wenn nichts mehr geht, geht immer noch Animistisches. Mit einem Kanarienvogel kommt man zur Behandlung. Der Geist, der einen befängt, wird mit Stäbchen und Zigarren in den Körper des Vogels gebeten, bis dieser tot von der Stange fällt.

 

Der Agent freut sich derweil, dass bei einer von den Nazis organisierten Bücherverbrennung sein eigener Porno mit dabei ist, zwischen „Im Westen nichts Neues“ und Hemingways „Über den Fluss und in die Wälder“, das – so die bittere Ironie des Autors – zugleich als Codebuch für die Geheimnachrichten der Nazis dient.

 

Das Schlusswort des Autors ist aufschlussreich. Was wild durcheinander gemischt erscheint, ist intendiert. Taibo erreicht mit der Verquickung von Fiktion und Fakten eine bizarre Überschau. Sie lässt die historischen Tatsachen dadaistisch, exaltiert und völlig unglaublich erscheinen. So ist insbesondere die esoterisch-mythische Verschwörung der Nazis belegt. Von Hitler erfährt man seine Krankengeschichte und die medizinischen Experimente, die er mit sich anstellen ließ. Abstruse Dinge, die sonst stets einem Betroffenheitspathos mit Fußnotengemurmel weichen.

 

Wie man der gewagten Darstellung folgt, ist besonders nachvollziehbar, wenn Taibo der Geschichte ein Schippchen schlägt und Hemingway in der einzigen Woche, die von seinen Biografen nicht dokumentiert ist, einen Ausflug nach Mexiko unternehmen lässt, um den Kampf gegen die Nazis aufzunehmen. Man will es gerne glauben.

 

Paco Ignacio Taibo II schreibt zurzeit mit Subcomandante Marcos an einer Detektivgeschichte, die im Urwald von Chiapas spielt. Was Realität, was Fiktion ist, wird man auch in „Muertos incomódos“ (Unbequeme Tote), so der Titel des demnächst erscheinenden Werks, schwerlich ergründen können. Getroffen haben die beiden Autoren sich nicht. Die Texte des mexikanischen Revolutionsführers kommen per E-Mail.

 

Gustav Mechlenburg

 

Paco Ignacio Taibo II: Die Rückkehr der Schatten, Assoziation A Verlag 2004, 440 Seiten, 24 €

 

www.assoziation-a.de/neu/Die_Rueckkehr_der_Schatten.htm