3. März 2005

American Psycho, resozialisiert

 

Es ist so, dass man ab seinem 30. Geburtstag natürlich anfängt, sich Gedanken zu machen über die Jugend und was die so treibt, und es ist so, dass man als Erwachsener natürlich seine Jugendlichkeit betont. Dynamisch, beweglich, intelligent, lustig, sexy. Die reinste Arbeitsamt-Broschüre vom Kopf bis in die Zehenspitzen.

 

Ist die Idee von Jugendlichkeit, der sich die Erwachsenen hingeben, nicht hoffnungslos veraltet? Kein Jugendlicher benimmt sich so, wie es die Idealvorstellung so genannter Junggebliebener nahe legt. Was ist los mit der Referenzgruppe für den allwaltenden Jugendzirkus? Die Gruppe Menschen unter 30, schüchtern, ängstlich, sicherheitsbedürftig, verklemmt, schlecht erzogen, untertänig und renitent. Man braucht nur ein bisschen in den Fernseher zu glotzen, um sich ein Bild von 20-jährigen Fatalisten zu machen. Diese süßliche Schlaffheit ist wahrer Ausdruck von Jugend. Nicht dieser Dynamik- und Intelligenz-Schmarrn.

 

Jedenfalls flößt der sanft ermatteten Jugend ein gelassener Anzugträger unbestimmten Alters eine solche Furcht ein, dass sie, wieder zu Hause, sich in Trainingshosen, in Tränen aufgelöst, vor die Bettchen ihrer Kinder werfen, die gerade die Neubausiedlung verheeren und einfach nicht begreifen, wie man so sicher wird, und sie werden es nie verstehen. Und die Sportjäckchen, die sie tragen, sind, je älter sie werden, eine immer paradoxere Mode ihrer Unbeholfenheit. Elastisch, nachgiebig, selbstgerecht, verzweifelt, so fett man auch wird. Und wem mit Mitte 20 schon die Haare ausfallen, ach, dagegen ist definitiv kein Kraut gewachsen.

 

Der Autor von „Schöne junge Welt“ hilft ihnen nicht, das ist auch nicht sein Thema. Einen Januskopf kann schließlich nicht jeder haben. Claudius Seidl ist einer dieser gelassenen Anzugträger und Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Er ist vor ein paar Jahren 40 geworden und hat ein Buch geschrieben zu einer Frage, die ihn beschäftigt – Wie alt bin ich? Und wie kommt es, dass ich nicht aussehe wie Emil Jannings?

 

In der Tat, kein Gedanke ist zu putzig, nicht ein Buch darüber zu verfassen. Es geht um Menschen zwischen 30 und 50, die interessante, gut bezahlte oder einfach todschicke Berufe haben. Sie sind alert und fühlen sich jung. In der Regel sind diese Wesen zutiefst menschlich in ihrer kinderlosen Langeweile, haben aber oft Ahnung von anderen Dingen (östliche Philosophie, Mode oder Gartengeräte), und jeder Dritte hat zu Hause einen „Barcelonachair“, auf jeden Fall aber einen Coffeetable. Sie haben was von einem resozialisierten „American Psycho“, und ohne ihr protestantisches Arbeitsethos und Galao-Pipeline an den Schreibtisch würden sie zu Staub zerfallen wie Graf Morlock in der jungen Morgensonne. Aber sie demonstrieren den Jüngeren, was Jugend bedeutet, und sind selbst noch ein wenig verwirrt über ihren hervorragenden Konservierungszustand.

 

Es ist ja so, dass man so bleiben will, wie man darf, das heißt für die Gruppe Menschen, mit denen sich Seidl beschäftigt, dass sie so jung sein dürfen, wie sie wollen, weil sie generell bestimmen, wer was überhaupt darf. Denn sie sind an der Macht und Seidls Überlegungen dazu allesamt einleuchtend. Morgens beim Putzen der 40-jährigen Zähne, 8 Uhr 30, gefühlte Zeit 6 Uhr 30, gefühltes Alter 35. Blödsinn, funktioniert aber. Der Anflug der ersten Falten zupft einem die Nerven wach, und man spannt sich in jeden neuen Morgen jenseits der 30 mit einem Gefühl von hochmütiger Kampfbereitschaft und siegt.

 

Man wird noch lange von Claudius Seidl hören. Denn in den nächsten Jahrzehnten werden genau diese Menschen immer noch an der Macht sein, dann wird es eine Greisenherrschaft sein. Es wird aber kein taperiges Gerangel um Gehhilfen und die wenigen schönen Zivis geben und keinen Aufstand der Pfleger, wie ihn Frank Schirrmacher als Methusalem beschwört, sondern weiterhin einen Kampf um die besseren, schnelleren, brillanteren Ideen (siehe Arbeitsamt-Broschüre). Es wird dann auch ein neues Buch für sie geben: „Die Anfangsechziger und ihre Neuanfänge, anhand von Fallbeispielen“. Dann wird vielleicht Bogenschießen oder ein Trompetenkurs fürs erste Rentenalter propagiert, abgefahrene Atemtechnik jedenfalls, express yourself, aber halt’s Maul dabei. Dafür gibt’s schließlich das Buch. Jedes Alter hat seine Ratgeber und Bücher.

 

Hygiene ist es, die Gesellschaften älter werden lässt, ohne dass sie vergreisen, erklärt Seidl. Was aber noch viel wichtiger ist als Trinkwasser, Seife, Kreme und nährende Schlammpackungen, ist Seelenhygiene. Sie kommt entscheidend für die privilegierten Schichten, von denen Seidl spricht, hinzu (und dazu gehören wahrlich nicht alle 40-Jährigen). Sie sind arrogant genug, um sich nicht mit allem zu beschäftigen, und je konsequenter man das Leben in Form von Fatalismus, Dreck, Armut und Kleingeisterei abweisen kann, weil man eben weiß, welche Bücher und Filme man stattdessen konsultieren kann, desto länger bleibt man schön unversehrt, jung. Interessant ist, dass es klappt, trotz gelinder Schizophrenie, und auch keiner etwas dagegen einwendet, denn richtig, so ist man angepasst, stört nicht und macht eine gute Figur, egal wie morsch die Knochen sind.

 

Die welkende Jugend dieser Menschen entlarvt sich nur, weil jemand sich hinsetzt und so einen Schmöker zusammenstellt. Seidl weiß das natürlich, er hat seine Generation verpetzt. Gefühlte Jugendlichkeit hin oder her, wer so abgeklärt und ironisch heiter schreibt, über Filme, Verhaltensbiologie und Anthropologen, hat keine Probleme mehr mit seinen Drüsen.

 

Es bleibt also doch wie Schopenhauer in den „Parerga“ notierte, „Die ersten 40 Jahre unseres Lebens liefern den Text, die folgenden 30 sind Kommentar dazu, der uns den wahren Sinn und Zusammenhang des Textes, nebst der Moral und allen Feinheiten desselben, erst recht verstehen lehrt.“ Und es ist in diesem Zusammenhang sehr lustig zu lesen, dass Claudius Seidl bis zu seinem 14. Lebensjahr 12 selbst gebastelte Mondraketen über seinem Bett aufgebaut hatte. Die Sache mit der Lichtgeschwindigkeit und dem Alter trieb ihn schon damals um.

 

Nora Sdun

 

Claudius Seidl: Schöne junge Welt. Warum wir nicht mehr älter werden, Goldmann 2005

 

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