26. Februar 2005

Geglückter Versuch, Handke auf den Kopf zu stellen

 

 

Wenn es dem Leser dieses Buchs ginge wie dem namenlosen Ich-Erzähler, würde er es nach kurzer Zeit aus den Händen legen, um irgendwas anderes zu machen, zu was er auch nicht richtig Lust hat. Der Leser bleibt aber dran, obwohl oder gerade weil nicht seine eigene Unlust Thema ist. Aber die Wahrheit ist dann doch, dass der Leser selbst vorgeführt wird, indirekt, und aus dieser scheinbar gesicherten Position kann er sich ganz gut selber dabei zuschauen, was er macht, wenn eigentlich nichts Besonderes anliegt, und das ist ja nun mal leider der Normalfall.

Was erst mal ausschaut wie ein etwas verspätet eingetroffener Pop-Roman aus Österreich (Alkohol und Party), geht darüber hinaus oder vielleicht eher dahinter zurück, ja, das Buch mutet in seiner Diskretion beinah klassisch an. Natürlich gibt’s auch hier Namen von mehr oder weniger angesagten Bands zu lesen, werden Strophen zitiert, ersetzt der Ortswechsel der Partys den Handlungsstrang und braucht es keine psychologischen Entwicklungen von jungen Leuten für nicht existierende Geschichten; aber der Roman ist einfach anders grundiert: statt Zynismus Tristesse, statt Lebenshunger Lebensüberdruss, statt Hang zum Spektakulären eher der Wunsch, ganz zu verschwinden, weil es keinen Ort gibt, wo die Party noch richtig Spaß macht. Wo nur noch „Seinesgleichen geschieht“, bleibt als einziges die Registratur einer fadisierten Welt, die sich in allem überlebt hat, aber nicht weiß, wie sie aufhören kann.

Denn das wäre vermutlich das Allerbeste, was ihr passieren könnte, die vier Jahreszeiten werden hier nicht hübsch biedermeierlich durchgenommen, und man bemerkt am Ende, dass es nach dem ersten Sommer schon genug war. Das Leben als Dauerzuschlag. Man wacht immer wieder auf, und das Leben ist immer noch da, obwohl man es gar nicht gefragt hat. Dieser ganze Hintergrund, der einen ständig umgibt, wird zu einer Obsession ohne eigene Zutat, er drängt sich in das Leben ein und fordert einem Entscheidungen ab, für die man eigentlich gar nicht gemacht ist. Das ist der einzige Luxus, den sich der Ich-Erzähler erlaubt. Er bleibt bei seiner Distanz zur Umwelt, egal was passiert. Und diese Distanz ist keine Pose, sondern echte Leiden-schaft. Passioniert gelangweilt. Das kann noch nicht mal als Distinktionsgewinn verbucht werden. Der Erzähler ist von Anfang an am Ende. Und deshalb ist es gleichgültig, ob er Abends auf eine Party fährt oder einen Abstecher nach Mauthausen macht, weil er den tristesten Ort Österreichs kennen lernen möchte. Der Superlativ hat keinen Namen, er ist omnipräsent.

Xaver Bayer hat auf eine sehr österreichische Art einen neuen „Fremden“ geschrieben. Dieser Fremde braucht aber keine unerhörte Begebenheit oder einen folgenschweren Zufallstreffer mehr, um in der Zelle zu sich zu kommen und metaphysische Abschlussgedanken zu formulieren. So viel Pathos ist nicht mehr, zwei lapidar erzählte Träume reichen völlig aus, um anzuzeigen, wohin die Reise gehen sollte, sie haben beide mit Fliegen zu tun, aber es sind beide Male Abstürze, die fantasiert werden. Das Paradoxe an Büchern wie diesen ist, dass sie nicht aufhören, auch wenn sie zu Ende sind. Zyklus, Serie, Wiederholung, Simulation, ein müdes Lächeln, dann verschwindet auch das Lächeln, die Müdigkeit bleibt natürlich, das Leben stellt sich nicht so leicht ab, was bleibt, ist die Einsicht, dass es ziemlich klar eingestellt ist.

 

Dieter Wenk

 

Xaver Bayer, Heute könnte ein glücklicher Tag sein. Roman, Frankfurt 2003 (Suhrkamp, 2001 Jung und Jung, Salzburg und Wien), 188 Seiten, € 7,50