18. Februar 2005

„Träge treibt der Frühlingshering“

 

„Es war Frühling und Rolandsen musste eine Liebste haben; es war nicht leicht, ein so großes Herz zu bändigen.“ Das wird ganz anschaulich in Hamsuns Erzählung, wie einfach und zusammenhängend der Frühling, ein großes Herz und die ganze Welt zu bändigen sind, wenn man nur Schwärmer ist.

 

Als Schwärmer werden auch Falter aus der Familie der Schmetterlinge bezeichnet, sie saugen schwebend an Blüten und sind meist in der Dämmerung aktiv. Und die Schwärmer in der Erzählung von Hamsun haben auch nichts weiter zu tun, als durch ihre Wahnvorstellungen beflügelt durch den Frühling und das Leben zu schweben und probehalber an anderer Menschen Liebe zu saugen, um bald das Häuschen zu wechseln, oder sollte ich jetzt Blüte sagen, zurückzukehren, zu widerrufen und im ganzen ihre Interessen nach vorn zu bringen.

 

Im Gegensatz zu den meisten anderen Texten Hamsuns ist „Schwärmer“ ein Schwank, und von depressivem Kippen nicht im Entferntesten bedroht, obwohl sich die gleichen Katastrophen abspielen wie immer. Man versteht sich nicht, man verwirrt sich gegenseitig und vorsätzlich, man macht vor allem Pläne. Generell eine der rührendsten Eigenschaften von Menschen. Hier leiden die Protagonisten nicht unter unerfüllten und nie erfüllbaren Sehnsüchten. Wenn sie sich enttäuscht sehen, sind sie betrübt wie Kinder, bald finden sie etwas anderes zum Schwärmen.

 

Rolandsen ist ein großer, prächtiger Bursche, der in der Telegrafenstation eines kleinen norwegischen Küstenortes arbeitet. Die Arbeit bringt ihn nicht gerade um, was auch nur bedeutet, dass offenbar so viele Leute nicht telegrafieren in dem Kaff. Er forscht in der freien Zeit geheim an einem Rezept für synthetischen Leim im Hinterzimmer des Telegrafenamts und beabsichtigt damit, dem mächtigsten Mann im Bezirk, Mack, der eine Fischleimfabrik hat, zur gefährlichen Konkurrenz zu werden. Das klappt, sogar noch besser, als sich Rolandsen das gedacht hätte. Und bis es so weit ist, hat er außerdem noch genug Zeit zu schwärmen.

 

Rolandsen liebt abwechselnd und gleichzeitig vier verschiedene junge Frauen, er ist charmant und übermütig. Elise, die Tochter des großen Mack, die stramme Wirtschafterin Marie, und Olga, die Küstertochter. Auch die Frau des Hilfspredigers. Sie ist besonders komisch. Die Schwärmerei dieser jungen Frau für alle möglichen interessanten Dinge aus der Natur, einen Feldstein oder ein Büschel Sauerampfer, die sie überall in der Wohnung verteilt, bringt ihren Gatten, den gestrengen Prediger regelmäßig an den Rand eines Wutanfalls. Dieser Prediger ist Schwärmer, sobald er auf der Kanzel steht, bleich und seltsam wie ein Rasender. Auch eine reformatorische Bewegung, die sich in spiritualistischer Frömmigkeit für Kirchenzucht und Mündigentaufe einsetzt, nennt man Schwärmer oder Schwarmgeister.

 

Alle haben ihre Pläne. Es ist so, dass man nur ordentlich Pläne schmieden muss, um ungestört schwärmen zu können. Mit dieser Art arbeitsreicher Fantasie beschäftigt, wird man nicht verzweifeln, weder über die unklaren Ziele der Schwärmerei noch über anderes. Die oder das Angebetete gehört gleichsam mit zum Spiegelkabinett des narzisstischen Wohlbefindens, es ist ein zweckloses, schwankhaftes Verhältnis zur Wirklichkeit. Und obwohl man als Außenstehender Schwärmer sogleich als Idioten erkennt, denn sie sind so voll von sich und ihrem Plan, sind sie in ihrer leidenschaftlich fantastischen Selbstverklebung eindrucksvoll und wirklich beneidenswert. Für sie gibt es kein Erwachen aus Illusionen, denn sie schlafen gar nicht. Schwärmer empfinden sich nicht nur als Nabel der Welt, sondern die Welt ist auch ihre Erfindung.

 

„Träge treibt der Frühlingshering vom Meer hinein“, dösig, und von der vielen frischen Luft und den Hormonen im Allgemeinen ganz rallig, dörfliches Glück im Winkel, Unsinn also. Aber weil die Lektüre Hamsuns aufs Gemüt schlägt, die ganzen aussichtslosen und verzweifelten Irren auf Irrwegen, die er erfunden hat in „Hunger“, „Mysterien“ und „Pan“, sollte man diese Schwärmer griffbereit halten, um sich an der unverdrossenen Tätigkeit dieser reizenden Idioten zu freuen.

 

Nora Sdun

 

Knut Hamsun (1859 – 1952): Schwärmer, Erzählung

 

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