12. Februar 2005

Parasiten, Ehre

 

Werner Büttner, Hello Cruel World, neue Arbeiten, Kunstverein Bremerhaven, 16.1.-20.2.2005

 

Ein feiner kleiner Kunstverein, tut so, als wäre nichts, mit Blick aufs Wasser, und stellt Bilder aus, die besser zu Füßen des auf dem Markt stehenden hanseaten Bürgermeisters platziert wären, zur allgemeinen bürgerlichen Erbauung, und um die Idiotien so richtig in Wallung zu versetzen. In Bremerhafen, wo man wohl auch sehr schnell krank und unglücklich werden kann.

 

Invasionskrankheiten: Die Nachkommenschaft des Parasiten verlässt den Wirtsorganismus (im Gegensatz zu Infektionskrankheiten) und sucht sich neue Opfer. Warum soll ich lange nach Gründen schnappen, wenn ich einfach ein paar Behauptungen aufstellen kann. Es verhält sich nämlich genauso bei der Kunst von Werner Büttner. Den Maler plagt ein Wurm, er hat wieder zu lange in die Zeitung geschaut, er hat wieder zu viel nachgedacht, er hat schon wieder zu viele Frauen betrachtet und zu viele Galane verachtet, er ist schon ganz zappelig vor lauter geistreichen Faxen und, oh je, jetzt fängt er an zu malen und denkt sich auch noch Bildtitel aus.

 

Wenn das Bild fertig ist, verlässt der Wurm den malenden Wirt, einer seiner Parasitenkumpel ist aber schon bald wieder eingezogen und eine ähnliche Krankheit bricht aus. Es ist auf den ersten Blick eine Kommentierungskrankheit, und herkömmliche Antibiotika wie Sport und Gesellschaft haben noch nie so recht gewirkt, ja sind im Gegenteil, fester Bestandteil des jeweils abgeklungenen Krankheitsbildes. Auf den zweiten Blick geht es wohl viel um Scham, auch Scham, dass man immer Würmer hat, und so recht nie stubenrein werden wird.

 

Um das zu verstehen, empfehle ich dringend die Lektüre romantischer Literatur, besonders abwegig an dieser Stelle, mir aber umso lieber, Clemens Brentano, das brave Kasperl und das schöne Annerl, wenn Sie es nicht kennen, ich verspreche Ihnen, Sie haben noch nie so einen Bullshit gelesen und gleichzeitig einen Bewohner heutiger Tage verstanden. Es geht wirklich die ganze Zeit um Ehre. Dem Mädchen beißt ein abgeschlagener Kopf in die Schürze, sodass sie zeitlebens an dieser reißen muss, der Knabe ist so aufgeweckt und lässt sich sein Pferd klauen, die Großmutter ist sentimental und bringt alles durcheinander, und der Vater knurrt bloß, friss deine Ehre, wenn du Hunger hast. So wie die sind, so ist Büttner.

 

Es geht nicht um Fortschritt, nicht um Prokreation, sondern darum, selbst immer wieder befallen zu werden. Die dabei entstehenden Artefakte haben den Anschein eines überflüssigen, unverwendbaren und zufälligen Objekts, dessen Rang allerdings dem eines ästhetischen Produkts entspricht. Das mit der Unverwendbarkeit gilt übrigens nur für Büttner, die Selbstimmunisierung durch eigene Krankheitsprodukte ist unwahrscheinlich. Die Betrachter dieser Ergebnisse haben natürlich Verwendung dafür. In völkerkundlichen Termini gesprochen, geht es um Entlastung. Man lacht, es ist aber nicht komisch, so wie man spielt oder trinkt, einen ganzen Abend und hat gar keine Lust.

 

Man kann ein längeres Gedankenspiel anstellen und kommt regelmäßig nicht bei der mystisch inspirierten Jungfrauengeburt, sondern bei einer Junggesellenmaschine heraus. Die Junggesellenmaschine arbeitet mit geschlossenen Kreisläufen, es sind kausale Zusammenhänge, wie bei einem Krankheitsverlauf eben. Der Büttner-Maschinismus läuft auf der Verblendungsschiene. Erotik, Terror, Tagespresse, Atheismus und dann immer die abschließende Frage: Lässt sich ein Erkenntnis- in einen Ereigniswert übersetzen? Man kann sich auch fragen, wer eigentlich wessen Parasit ist oder ob es sich um Symbiosen handelt. Und ob man als Betrachter gefährdet ist, wenn man lacht.

 

Lieber Büttner, ich will Sie bitten, nicht so faul zu sein, die Parasiten lungern herum, und es gibt wenige Menschen, die nicht resistent sind, bleiben sie krank, hüten sie das Atelier, malen sie vor allem selber, dass kann niemand anderes nach Anweisung machen, denn was ein Hegelpolizeistaat ist, wissen Sie zuerst.

 

Nora Sdun