4. Februar 2005

Acne Conglobata

 

Der Hesse an sich genießt nicht gerade den Ruf des Spaßvogels und Schenkelklopfers. In einer Talkshow auf Nord 3 wurden die Hessen unlängst sogar als die Rumänen Deutschlands bezeichnet: Ein wenig gesichtslos, eher grobschlächtiger Natur, und zum Lachen gehen sie gerne in den Keller. Ich weiß, wovon ich rede ... Es kommt so schnell nicht vor, dass ein Buch mich dermaßen provoziert, dass ich tatsächlich in lautes Lachen ausbreche. Ein wissendes Schmunzeln und in mich Hineinlächeln genügt durchaus und scheint mir in den meisten Fällen angebrachter und sympathischer. Umso erstaunlicher ist die Wirkung, die „Fleisch ist mein Gemüse“ auf mich ausübte. Durch unkontrolliertes, lautes Auflachen hinderte ich meine Freundin mehrere Abende am Einschlafen.

 

Heinz Strunk ist Rocko Schamonis Kollege bei der Hamburger Spaßguerilla „Studio Braun“. Nicht nur deshalb wird sich das Buch in der Pop-Literatur-Abteilung der Buchläden direkt neben Schamonis „Dorfpunks“ wieder finden. Eine gewisse Seelenverwandtschaft lässt sich nicht leugnen.

 

„Fleisch ist mein Gemüse“ ist die tragisch-komische Autobiografie von Heinz Strunk, geboren und aufgewachsen auf der anderen Seite der Elbe, in Hamburg Harburg. Heinz durchleidet seine Jugend gepeinigt von Acne Conglobata: „Pusteln mit oder ohne Eiterhaube, Mitesser und tief in der Haut verankerte Flechten“ ... and misery loves company – Er schließt sich der wenig begabten Tanzband „Tiffanys“ an. Leider tendiert die sexuelle Ausstrahlung einer mittelmäßigen Tanzband gegen Null. Der Mythos Rock’n’Roll findet woanders statt.

 

Drangsaliert von Psychosen, sexueller Frustration und Alkoholproblemen, verbringt Heinzer sein Leben in vergilbten Spielhallen oder auf Hochzeiten, Faschingsveranstaltungen und Schützenfesten (Spiel ma was von Moooaaariuus – die Geheimwaffe gegen tanzunlustige Bauerntölpel) und muss dabei das schrittweise Ableben seiner Mutter beobachten.

 

„Fleisch ist mein Gemüse“ enthält die intimen Gedankengänge und die seelischen Abgründe eines Menschen, der, vom Leben geohrfeigt, zu lethargisch ist, um die andere Wange rechtzeitig wegzuziehen. Dies sollte jedem Menschen, der das Jammertal des Teenagerdaseins nur halbwegs durchquert hat, bestens bekannt sein. Böse Mädchen kommen überall hin, glückliche Jungs werden Bankkaufmann, und von der Jugend gezeichnete Menschen entwickeln eine Form von Ironie und Sensibilität, über die sich vortrefflich schreiben lässt.

 

Mittlerweile habe ich das Buch mehrfach gelesen. Das Erlebnis des schallenden Lachens ist einem immerhin noch lautem, grunzendem Geräusch im hinteren Rachen-/Nasenhölenbereich gewichen. Gut für meine Freundin. Endlich kann sie wieder ohne Ohrstöpsel einschlafen.

 

Holger Rohmig

 

Heinz Strunk: „Fleisch ist mein Gemüse“, Rowohlt 2004

 

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