13. Januar 2005

Eine schlechte Geschichte

 

Angenommen, Jack the Ripper wäre zu Lebzeiten gefasst und als ganz gewöhnlicher, wenn auch besonders gründlich verhaltensgestörter Frauenmörder enttarnt worden. Der eine oder andere Experte für Kriminalgeschichte wüsste vielleicht noch etwas mit dem Namen anzufangen, der breiten Öffentlichkeit wären Mörder und Opfer jedoch unbekannt. Dass es anders gekommen ist, verrät Google als das Archiv des Gegenwartsinteresses: Immerhin 1,1 Millionen Einträge kennt die Suchmaschine zu Jack the Ripper, was umso bemerkenswerter ist, als dass die Mordserie nunmehr über 120 Jahre zurück liegt.

 

Der Unabomber hingegen, der immerhin fast 20 Jahre lang Zeit für seine Bombenanschläge auf Universitätsmitarbeiter und Angestellte von Airlines - von FBI und Medien daher zu UNA verballhornt - hatte, bringt es sieben Jahre nach seiner Enttarnung nur auf 221 000 Treffer. Nüchtern denkende Zeitgenossen würden dies als Beleg dafür werten, dass über den Unabomber alias Ted Kaczinsky eben alles berichtet ist: Ein hochbegabter Mathematiker sagt sich von der Wissenschaft los, bekämpft die technologische Revolution mit selbst gebastelten Bomben, setzt die Veröffentlichung eines wirren Manifests durch und muss schließlich - voraussichtlich lebenslänglich - ins Gefängnis.

 

 

Für den Filmemacher Lutz Dammbeck ist der Fall Kaczynski damit aber nicht abgeschlossen. Vielmehr will er wissen, warum Kaczynski im Lager der Technologiegegner landet und kein "begeisterter Computer-Hippie" wie so viele seiner Generation wird. Die Frage ist interessant, doch leider bemüht sich Dammbeck im Buch zum gleichnamigen Film nicht ernsthaft - zumindest nicht erkennbar - um eine Antwort. Er spricht zwar mit einigen der "Computer-Hippies" der Flowerpower-Ära über den Unabomber, will aber nicht hören, was sie zu sagen haben. Um dann seinerseits zu behaupten, dass keiner seiner Gesprächspartner mit ihm über den Unabomber habe reden wollen.

 

 

Statt seine Quellen für eine journalistische Recherche zu nutzen, gleitet Dammbeck in die Halbwelt der Verschwörungstheorien ab. Das ist nicht bereits an sich verwerflich, denn auch aus Verschwörungstheorien kann eine gute Geschichte werden. Doch leider hält sich Dammbeck nicht an die eherne Regel, dass eine gute Geschichte im Gegensatz zur Realität einen Sinn ergeben muss (Tom Clancy).

 

 

Er erzählt noch nicht einmal eine schlechte Geschichte, sondern gar keine. Dammbeck raunt vom Schweigen über den Unabomber als Teil eines "genialen Feedback-Systems, das jeden Angriff und jede Störung umgehend als Energiezufuhr für seine weitere Perfektionierung nutzt. Wer braucht so etwas?" Die Frage ist leicht zu beantworten: Keiner.

 

Hendrik Roggenkamp

 

Lutz Dammbeck, "Das Netz - Die Konstruktion des Unabombers", 192 Seiten, 13,90 €, Nautilus-Verlag Hamburg

 

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