5. November 2004

GODOGOD

 

Eine scharf gemachte Töle mit beinah im rechten Winkel geöffnetem Maul, magenta-bleckenden Hauern, die Zunge steil und lang wie die Abfahrtsrampe von Skiweitspringern. Beeindruckend schönes Cover. Nicht weniger eindrucksvoll die gestaffelten Innereien, die Novelle hat nämlich, wie sich das gehört, einen richtigen Erzählrahmen – warum das aber so sein muss, erfährt der Leser erst ganz zum Schluss. Bei Dath gibt es ja immer diese abrupten Wechsel zwischen dem Szenischen (nicht im Sinn des Hippen) und der Vorführung des Materials (Sprache selbst, Theorie, Formel, Physik).

 

Dieses Buch hat also eine „Vor Geschichte“, die sehr lustig beginnt, aber schnell auch verwirrt. Man weiß nicht, wer da spricht, mit wem, woher dieser biblische Ton kommt und warum bitte schön gleich im dritten Satz (der zweite dauert nur ein Wort) der Hitler vorkommt. Natürlich kann man sich fragen, warum denn der Hitler in der Wirklichkeit vorkam, und so klammert sich der Anfangsverdacht des Kokettierens mit dem Bösen oder Verbotenen von selbst ein. Hitler ist auch in dieser Novelle kein bloßer Appetitanreger. Mit der Vorgeschichte wird etwas in die Luft geworfen, und der Leser dreht seine Spürnase Richtung Anfang, an dem er gleichwohl selbst steht. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, dabei geht es hier nicht, zum Wohl des Lesens, um „das Anfängliche“, sondern gleich etwas abstrakter um so etwas wie „Anfangssilben“, bei denen sich jeder selbst etwas ausdenken kann. Es ist nicht so sehr der Atem der Geschichte, der hier bläst, als dass sich ein Spagat niederlegt, dessen doppeltes Zentrum aus Erzeugung und Vernichtung auf einer Achse liegt mit den spannungsgeladenen „Anfang“ und „Ende“. Indien, Bhagavad-Gita, Shiva, Kastenprinzip als Modell des Rassegedankens, Steuerungsprinzipien, die die kleinen Subjekte mit ihren Programmen aufladen, und man hat es nicht gemerkt.

 

Und so kommt in der Prähistorie schon alles vor, die Inhalte sind austauschbar, aus den Anfangssilben lässt sich alles aufbauen, südwestdeutsche Kleinstädte, Ideologien, Power-Metal-Musik, pädagogisch avancierte und deshalb sehr verdächtige Lehrer, Studenten wie Daniel Spitz, in die die fatale Aufspaltung der Wissenschaft in Geist und Natur eingeht. Eine Inzestgeschichte wie bei Adam und Eva (die Rippenversion, wird ja in „Phonon“ wieder aufgegriffen), die eine überraschend knappe Beendigung erfährt (die superschnellen Desillusionierungen an einigen Stellen des Buchs). Vielleicht liest man „Die Ehre des Rudels“ wie einen sich wie von selbst im Kopf zeichnenden Groß-Comic mit seinen ja gar nicht so zahlreichen Schaltsituationen, zum Beispiel dem wunderbar trashig gesetteten „Kunstraub“ in der Dunkelkammer des behördlich abzufackelnden Plattenladens, der natürlich auch eine Schatzkammer ist (denn warum sollte man, wie an einer anderen Stelle des Buches, um Platten kämpfen wie sonst nur um Frauen). Gleichwohl liest sich das Buch nicht schnell, das liegt weniger daran, dass es „schwierig“ ist (komplex allerdings), als dass der Leser wie von selbst die Geschwindigkeit herunterfährt (das kann man bei Musik nicht, aber dafür hört man sie immer wieder). Man hat einfach wahnsinnig viel Spaß beim Lesen, vielleicht auch deshalb, weil man merkt, wie viel Spaß das dem Autor gemacht haben muss. Mag sein, dass es aberwitzig ist, aber nicht mehr als die andere Geschichte auch. Hier, in „Die Ehre des Rudels“, gibt es sie auch noch schön verdichtet. Es steckt irgendwie alles drin. Zu viel?

 

An manchen Stellen denkt der Leser sicherlich an Daths „Am blinden Ufer“ (vielleicht sein schönstes Buch), ein paar Jahre später geschrieben. Es scheint, als ob der Autor noch mal eine Portion „Verwilderung“ (im Sinne Clemens Brentanos in „Godwi“) im Verhältnis von „Cordula killt dich“ zu „Die Ehre des Rudels“ herausgenommen hätte. Abstrakteres Setting, topologisch abgegrenztere Räume (eine Spur „Nabismus“), coolere Leute, ein Schritt in Richtung Allegorie, ohne dass man auf dem angekommenen Feld besser sehen würde. Kurz gesagt, man kann durchaus „Am blinden Ufer“ als eine Coverversion von „Die Ehre des Rudels“ lesen. Best of Dath. Beide.

 

Dieter Wenk (11.04)

 

Dietmar Dath, Die Ehre des Rudels. Horrornovelle, Berlin 1996 (MAAS)