1. November 2004

Individuelle Kommodität

 

Kant definiert die Urteilskraft als das Vermögen, welches das Besondere im Allgemeinen enthalten denkt. Die Urteilskraft ist reflektierend, wenn sie nur das Besondere vor sich hat und das dazugehörige Allgemeine finden soll. Das Gesetz, das hierbei wirksam wird, ist das Prinzip der Zweckmäßigkeit.

 

Wenn Sie also in Ihrer Wohnung sitzen und im neuen IKEA-Katalog blättern, wirkt dies treffliche Prinzip. Man selbst befindet sich sozusagen im Allgemeinen und soll sich das Besondere, am besten den ganzen Katalog, als enthalten in die Wohnungseinrichtung denken.

 

Nun ist es wenig schmeichelhaft, sich als allgemein zu denken. Das weiß IKEA, und so duzt man Sie in eine besoffene Individualität. Ihre spezielle Kreativität (oder Kreatürlichkeit?), eben Besonderheit, ist nachgerade ohne alle Vergleichbarkeit, also fast erhaben. – Nein, das geht zu weit. Jedenfalls meint man, das Prinzip der Zweckmäßigkeit eher andersherum gebrauchen zu müssen. Also ist man lieber selbst das Besondere und IKEA das Allgemeine, obwohl damit dem anspruchsvollen Design, der Neuheit und Sensation der Artikel natürlich Unrecht geschieht.

 

Also was ist vordringlich zweckmäßig? Richtig: ORDNUNG. Ordnung in dem blitzblanken Sondermodell, was man selbst vorstellt. „Ordnung halten kann so einfach sein“, sagt IKEA und spülmaschinenfest ist das auch. Die Farbe ist egal, Hauptsache jede Schachtel hat ihren individuellen Deckel. Form follows Unordnung. Die Aufbewahrungs-Objekte haben jede nur erdenkliche Kontur, fast so individuell wie Ihre individuelle Unordnung, aber doch schmeichelnd allgemein.

 

Was hier beängstigend deutlich wird, ist der Umstand, dass in deutschen Haushalten a) ständig alles Mögliche griffbereit sein muss und b) gleichzeitig verhüllt. Die Stoffe und Gardinen, die Schachteln aus Bananenblätterrattan, die rationellen Tütenspender, die Schlüsselkästchen in Schlüsselform, die, jetzt kommt’s, Indoor (warum zum Teufel Indoor?) -Tasche für Fernbedienungen, der beleuchtete Raumteilerterror lassen Dinge verschwinden, die niemanden etwas angehen.

 

Um noch mal die besondere, individuelle Lebensform aufzunehmen. Offenbar ist der Pröll-Kram, der einen umgibt und an dem man ideelle Werte aufrichtet, zu einem Fetisch geworden, den man diskret verbirgt, wie die Lederpeitsche hinten im Schrank. Die gefühlte Besonderheit wächst an, je gründlicher man sie im allgemeinen Schachtelverhau versteckt. Alles natürlich aus sozialen Gründen, denn was sollen die Nachbarn denken. Wie gut, dass die genau dasselbe denken. Du - Wir sehen uns bei IKEA.

 

Nora Sdun