20. Oktober 2004

Kolanuss und Mutters Kochrezepte

 

Das Leben ist hart. Besonders für Elvis. Nein, nicht der unsterbliche King ist gemeint, sondern die Hauptfigur aus Chris Abanis Roman „Graceland“. Dieser Elvis lebt in einem Slumviertel von Lagos, der Hauptstadt Nigerias, und muss sich mit allerlei Widrigkeiten herumschlagen. Da ist einmal sein Vater, ein gebrochener Mann, der zu viel Palmwein trinkt und für Elvis nicht wirklich als Vorbild taugt. Entsprechend schwierig ist das Verhältnis zwischen den beiden. Dann sind da die ständigen Geldsorgen. Elvis, der am liebsten Tänzer werden möchte, versucht sich anfangs als Imitator seines berühmten Namensvetters durchzuschlagen, mit weißer Schminke im Gesicht und gekonnt vorgeführtem Hüftschwung. Das erweist sich jedoch als wenig lukrativ, zudem ist es auch nicht ungefährlich, da zu viel Make-up einen falschen Eindruck erwecken könnte. Also schließt Elvis sich seinem Freund Redemption an, einem Kleinkriminellen mit wichtigen Kontakten.

 

Der Ausflug in die Unterwelt von Lagos hat es jedoch in sich, das schnell verdiente Geld ist mit einigen Gefahren verbunden, die vor allem von Gefolgsleuten des Generals, eines besonders brutalen Vertreters des ebenso brutalen Regimes, ausgehen. Das fachgerechte Verpacken von Kokain gehört da noch zu den harmloseren Aufträgen. Der Transport von Kindern für den internationalen Organhandel und der Anblick abgeschlagener Köpfe in Kühlboxen lassen dagegen die Abgründe erahnen, in die sich Elvis begibt.

 

Zwar hat er im „König der Bettler“ einen Beschützer, doch kann auch der ihn nicht vor einer Inhaftierung inklusive Folter bewahren. Aber Elvis übersteht auch das und macht sich auf die Suche nach seinem eigenen Graceland. Seine Erlösung kann er nur allein finden, ohne Hilfe seiner Freunde und wohl auch nur außerhalb Nigerias.

 

Abanis Roman ist abwechslungsreich und bunt, und dazu noch hervorragend übersetzt von Thomas Brückner. „Graceland“ beschreibt ein postkoloniales Nigeria, das nach westlichen Werten strebt und dabei manchmal die eigenen vergisst. Als Symbol traditioneller Kultur dient die Kolanuss, deren Verwendung am Anfang der Kapitel in ethnographischem Stil beschrieben wird und die der Gruppe der Igbo (zu der auch Elvis gehört) heilig ist. Ebenfalls steht am Anfang jedes Kapitels ein Kochrezept von Elvis’ Mutter. Beides hat eigentlich nichts mit der Geschichte zu tun, schmückt das Ganze aber mit kulturellen Facetten, die im Lagos, in dem Elvis überleben muss, keine Bedeutung mehr haben.

 

Der Autor mag damit ein gewisses Bedauern ob des kulturellen Verlustes zum Ausdruck bringen wollen, tatsächlich stören diese Fragmente aber manchmal nur den Lesefluss. Auch sonst hat die Fülle des Materials in einigen Teilen einen eher lähmenden Effekt, etwas weniger Aus- und Abschweifungen hätten der Story vielleicht gut getan. Trotzdem, hier wird ein Bild Nigerias gezeichnet, das einen faszinierenden und für die meisten Europäer wohl eher unbekannten Einblick gewährt.

 

Katrin Zabel

 

Chris Abani: Graceland, aus dem Englischen von Thomas Brückner, C.H. Beck, 452 Seiten

 

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