12. Oktober 2004

Bush = Extinct

 

 

Das etwas andere Buch zum Wahlkampf. Über 200 US-Schriftsteller, Illustratoren und Musiker machen mobil gegen Bush & Co.

 

Mit Utopien oder besser gesagt Dystopien ist das ja so eine Sache. Nach George Orwell konnte man sich jedenfalls auf das Jahr 1984 nicht mehr so recht freuen. Und auch die Besiedelungs-Pläne des Mars bereiten jedem, der Ray Bradbury gelesen hat, Magenschmerzen. Dem Amerika des Jahres 2016 aber kann man, nach der Lektüre des „Future Dictionary of America“, mit Zuversicht entgegensehen. Durch die Erfindung von speziellen Nachtmützen, so gennanten „Dream Catchers“, wird man in der Lage sein, die Träume seines Partners live mitzuverfolgen. Wegen des allgemeinen Rauchverbots werden Raucher mit „smoke-jackets“ ausgestattet, die unverzüglich den ausgestoßenen Qualm absorbieren. Dank genetischer Manipulation wird die Welt Zeuge so genannter „ragadolfins“, das sind Kinder, die keine Furcht empfinden, sich resistent gegen den „Ritalin Act“ erweisen und eine eigene Kolonie auf einem Planeten namens „Wolf 359“ gründen werden. Außerdem wird die Regierung Bush nach ihrer schmachvollen Wahlschlappe im Jahr 2004 lediglich in neu entstandenen Schimpfwörtern präsent sein.

Dave Eggers, Schriftsteller und Herausgeber des wunderbaren Magazins „McSweeney’s“, hat zusammen mit dem neuen amerikanischen „wunderkind“ Jonathan Safran Foer („Alles ist erleuchtet“) über 200 Kollegen wie Jonathan Franzen, Jeffrey Eugenides oder Michael Chabon darum gebeten, an einem fiktiven Lexikon des Jahres 2016 mitzuarbeiten, dem „Future Dictionary of America“. Rechtzeitig vor November 2004. Denn das Ganze sollte auf verspielte Art und Weise dem Unmut und auch dem Entsetzen über die eigene Regierung Ausdruck verleihen. Das Ergebnis ist ebenso kauzig wie unterhaltsam. Denn erfreulicherweise besteht nur die Hälfte der Einträge aus satirischen Kommentaren zur aktuellen US-Politik, sodass das Buch auch dann noch Relevanz besitzen wird, wenn Bush doch die Kurve kratzt. Die andere Hälfte der Autoren hat sich zu Erfindungen und Wortneuschöpfungen inspirieren lassen, für die die Bezeichnung „abgefahren“ manchmal noch zu milde ausfallen würde.

So erfährt man zum Beispiel durch Richard Powers vom Hype, den weltweit die Methode der „kincatenate“ auslösen wird: Problemlos lassen sich dadurch auf der Welt diejenigen Leute ermitteln, mit denen man verwandt ist. Die dazugehörige Game-Show heißt in Anlehnung an „Who wants to be a Millionaire?“ „Who wants a Million Heirs?“. Der 23. 09. wird übrigens zum internationalen „Kincatenation Day“. Jonathan Safran Foer erläutert, was man sich unter einem „wind-truck“ vorzustellen hat: Nachdem Amerika vollständig auf Windenergie umgestiegen ist, transportieren die „wind-trucks“ in riesigen Anhängern Wind in die Regionen des Landes, in denen gerade eine Flaute herrscht. Und so geht es auf über 200 Seiten von A wie „aaaaize“ bis Z wie „Zzzunday“ weiter. Dazwischen erfahren wir noch von Art Spiegelman, was man im Jahre 2016 unter der „Genfer Konvention“ versteht: Eine Versammlung von Comic-Künstlern, die alljährlich die Reaktionen eines Publikums zeichnen müssen, dem die Fotos von Abu Ghraib gezeigt werden. Jeffrey Eugenides erklärt den „Cheney-Effect“: Persönlichkeitsstörungen, die auf Grund einer Bypassoperation auftreten können. Und weil jedes richtige Lexikon einen schönen farbigen Bildteil besitzt, haben Comic-Zeichnerer wie Chris Ware („Jimmy Corrigan“), der zurzeit wohl wichtigsten Vertreter der US-graphic-novel, imaginäre Landkarten, Statistiken und Bildgeschichten aus der Zukunft gemalt. Fast möchte man sich ja schämen, wenn man jetzt sagt, dass das immer noch nicht alles ist. Denn zusätzlich gibt es eine CD mit 22 Songs von den neuen Alben von unter anderen Tom Waits, Elliott Smith, den “Flaming Lips” und “REM”, die sich allesamt auf die ein oder andere Weise mit der momentanen US-Politik und ihren Folgen auseinander setzen.

Bei einer derartigen Vielfalt ist es nicht verwunderlich, wenn einige Beiträge wie die T.C. Boyles oder Stephen Kings etwas uninspiriert ausfallen. Nicht so schlimm. Denn das wegen seiner Fülle von Wortspielen und Neologismen so gut wie unübersetzbare Buch lädt ja letztlich sowieso vor allem zum Schmökern ein oder wegen seiner detailverliebten Ausstattung auch nur zum Anschauen. „The Future Dictionary of America“: Dokument der politischen Kunst in den USA anno 2004 und Kompendium anarchischer Fantasie. Ach ja. Einen Eintrag zu „Bush“ gibt es übrigens auch. Von Paul Auster. „Bush: poisonous familiy of shrubs, now extinct.“

 

Thomas von Steinaecker

 

Dave Eggers / Jonathan Safran Foer (Hg.): The Future Dictionary of America

 

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www.mcsweeneys.net