2. Oktober 2004

Cyrano in der WG

 

Erlösungsgeschichten sind inhärent wundersam, doch diese schlägt die meisten. Nicht genug damit, dass der neue Mitbewohner, der eines Morgens in Jennifers Glasgower WG-Küche tritt, im Dunkel leuchtet, als wäre sein Körper von Flammen umzüngelt, er behauptet auch noch, der 1619 geborene französische Schriftsteller Savinien de Cyrano de Bergerac zu sein. Jennifer stört sich kaum daran, wie dieser seltsame Mann in ihr Haus gekommen sein mag. Viel verblüffter findet sie, welche Auswirkungen er auf ihr Leben hat. Das hatte sie zu einer emotionalen Trutzburg ausgebaut, die ihr Gefühle vom Leib hielt. Nun überrennt der verstörte Zeitreisende Savinien Mauer nach Mauer und dringt schließlich weiter in ihr Inneres vor, als je ein Mensch vor ihm.

Die Schottin A. L. Kennedy, bislang in all ihren Büchern weit mehr am Innenleben ihrer Protagonisten, als an trickreichen Erzählplots interessiert, konzentriert sich auch in diesem - in England bereits 1995 erschienen - Roman auf die Binnenperspektive. Langsam und dabei keineswegs behutsam entblättert die Ich-Erzählerin Jennifer ihre Seele vor dem Leser, erzählt Savinien lyrisch aus seinen beiden grausamen Leben. Das geschieht in knochentrockenen - und häufig sehr komischen - Dialogen, die in kürzester Zeit von Kennedys berüchtigtem lakonischen Humor zu detaillierter Brutalität wechseln können, die in ihrem unbeteiligten Ton an Selbys "Last Exit Brooklyn" erinnern.

"Also bin ich froh" hat die sprachliche Pointiertheit von Kennedys brillanten Kurzgeschichten und vermeidet die Längen des zu umfangreich geratenen Romans "Alles was du brauchst". Ein früher Beleg dafür, dass die Schottin die vielleicht eigenste Stimme in der gegenwärtigen britischen Literatur ist.

 

Gregor Kessler

(Erstabdruck in der Financial Times Deutschland)

 

A. L. Kennedy: Also bin ich froh, Wagenbach, 288 Seiten, 19,50 €

 

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