28. September 2004

Generationenvertrag

 

Die natürliche Allianz zwischen Großeltern und Enkel wird in diesem Roman von Jonathan Hull auf eine harte Probe gestellt. Traditionell sollte hier ein gutes Verhältnis vorherrschen – schließlich sind die Großeltern in der Regel nicht für die Erziehung ihrer Enkel zuständig und können somit mehr Toleranz und Verständnis aufbringen, als es ihnen noch bei ihren eigenen Kindern möglich war. In diesem Fall sieht die Sache jedoch anders aus.

Zwar bekommt der Großvater, Mead, ein Veteran des Zweiten Weltkriegs, seinen Enkel Andrew nur äußerst selten zu Gesicht, von besonderer Freude, ihn wieder zu sehen, kann jedoch zumindest anfangs keine Rede sein. Ganz im Gegenteil, Andrews Verhalten und natürlich auch sein Aussehen stoßen bei ihm auf keinerlei Begeisterung: „So ein vorlauter Bengel, dachte Mead und musterte seinen Enkel, dessen übergroße Jeans ohne weiteres dem dickbäuchigsten Schützen aus seinem alten Korps gepasst hätten. Er trug verdreckte Turnschuhe ohne Schnürsenkel, an den Fersen niedergetreten wie Schlappen, und ein großes zerknittertes T-Shirt mit einer Art Satansfratze darauf. [...] Mead lief ein kalter Schauer über den Rücken. Mein eigener Enkel – ein Rowdy.“

Doch Andrew geht es nicht anders. „In Gegenwart seines Großvaters (der für ihn nie Opa gewesen war) hatte er sich noch nie wohl gefühlt. [...] Aber genau genommen war dieser Typ – ob Held oder nicht – total verkniffen, ein echter Klemmarsch. Als hätte man einen Bullen, einen Pfaffen und einen Pauker in einer Person vor sich.“ Trotzdem sollen die beiden einige Wochen gemeinsam verbringen. Grund dafür ist, dass Andrew vorübergehend von der Schule geflogen ist, weil er einen Mitschüler mit einem Messer bedroht hat. Dazu kommt, dass sich sein bester Freund vor nicht allzu langer Zeit umgebracht hat und er seine Asche gestohlen hat, was ihm jedoch keiner nachweisen kann.

Um Andrew steht es also nicht gut, und da seine allein erziehende Mutter nicht weiß, was sie machen soll, schickt sie ihn kurzerhand zum Großvater, in der Hoffnung, dieser könnte einen guten Einfluss auf den verstockten Teenager ausüben. Anfangs sieht es gar nicht danach aus, die beiden schweigen sich meistens an, und wenn sie einmal versuchen, miteinander zu kommunizieren, geht das in der Regel schief. Beispielsweise entpuppt sich Andrew als Vegetarier, als Mead ihm selbstgebratene Hamburger servieren möchte. Mead dagegen ist überhaupt nicht begeistert, dass sein Enkel sich mit der Nachbarin von gegenüber anfreundet, die eigentlich ein Auge auf ihn selbst geworfen hat.

Die Annäherung zwischen Großvater und Enkel findet langsam statt, nicht zuletzt auch durch die Hilfe von Evelyn, der Nachbarin. Ausschlaggebend ist jedoch eine Reise nach Europa, auf die Mead Andrew einlädt. Sie besuchen Kriegsschauplätze in der Normandie, was einigermaßen erstaunlich ist, schließlich wird Mead seit der Landung der Alliierten, an der er als Fallschirmjäger teilnahm, von den traumatischen Erlebnissen dort verfolgt und hat sich geschworen, nie wieder einen Fuß nach Europa zu setzen. Warum er diesen Vorsatz bricht, ist trotz doch vorhandener großväterlicher Sorge um den Enkel nicht ganz schlüssig. Auch offenbart der Autor gegen Ende des Romans einen gewissen Hang zum Kitsch, der nicht notwendig gewesen wäre.

So jedoch wird am Ende alles gut, Mead kann sein Kriegstrauma aufarbeiten (wozu noch ein kleiner Ausflug nach Deutschland erforderlich ist), Andrew spricht endlich über seinen toten Freund, und auch nach der Rückkehr in die USA wird (fast) alles gut. Eine perfekte Vorlage für einen Hollywoodfilm sozusagen. Aber das muss ja nicht immer schlimm sein, lesenswert ist der Roman allemal.

 

Katrin Zabel

 

Jonathan Hull: In der Ferne die Normandie. Hoffmann und Campe 2004, 431 Seiten

 

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