14. September 2004

Kein Platz, nirgends

 

"Sie wollen in diesem Herbst die Leser mit neuen Büchern begeistern: Echt-Debütantin Jana Scheerer, Ex-Debütant Thomas Brussig und Dauerdebütant Joachim Lottmann. Den wichtigsten Erstling der Saison hat Anne Zielke geschrieben."

 

Verschwendung ist überhaupt kein Ausdruck. 300 000 Manuskripte, unverlangt eingesandte, landen jährlich bei Literaturagenten und Verlagen. Doch gedruckt wird davon wenig. 2004 ist die Auswahl besonders hart ausgefallen. Die Verlagskataloge für den Herbst sind da, doch deutschsprachige Romandebüts findet man darin kaum.

Das war mal anders: Als die deutsche Literatur nach 1989 einen hitzigen Aufschwung erlebte, wurden Autoren wie Benjamin von Stuckrad-Barre und Benjamin Lebert innerhalb kurzer Zeit zu Stars. Literatur, die bis dahin als schwer verkäuflich oder akademisch galt, war plötzlich witzig und unter 30.

Doch im Herbst 2004 ticken die Uhren anders. Die Strukturen des Buchmarkts haben sich drastisch verändert. In der Literatur richtet sich das Interesse auf große Namen und vermeintliche Skandalbücher. "Es gibt eine wachsende Angst vor Debüts", konstatiert Thorsten Pannen vom Buchgroßhändler Libri. Der Aufwand für Verlage, Autoren bekannt zu machen, sei "äußerst hoch". "Das Debüt eines Unbekannten als Marketingkategorie ist wieder auf null gesunken", meint Pannen.

Einige Autoren haben es dennoch geschafft. Beim Verlag Schöffling & Co. erscheint Jana Scheerers in skurrilen Episoden verfasster Lebenslauf unter dem schönen Titel: "Mein Vater, sein Schwein und ich".

Die sonst sichere Adresse für deutschsprachige Debüts, der Verlag Kiepenheuer und Witsch, recycelt dieses Jahr bloß den Dauerdebütanten Joachim Lottmann mit "Die Jugend von heute". Ansonsten werden ausländische Debüts importiert.

Anders ist es bei den Außenseitern der Branche, den Kleinverlagen. Sie sind aus finanziellen Gründen auf deutlich billigere Neuentdeckungen angewiesen. Der Ventil Verlag aus Mainz nimmt die Journalistin Kerstin Grether in sein schmales Programm auf. Ihr Roman "Zuckerbabys" handelt von Pop und Schlankheitswahn. Das vielleicht verheißungsvollste Debüt erscheint am 27. September und wird bereits ab 11. September durch einen Vorabdruck in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" geadelt: Anne Zielkes Novelle "Arraia" erscheint beim jungen Münchner Verlag Blumenbar. Die Autorin lässt zwei Theologiestudenten im brasilianischen Urwald aufeinander treffen.

Doch das sind Ausnahmen. Martin Hielscher, Programmleiter bei C.H. Beck und bis 2001 bei Kiepenheuer und Witsch Advokat der jungen deutschen Literatur, ist davon überzeugt, dass die Schwelle für Debüts höher geworden ist. Am mangelnden Handwerk liege das nicht. Ganz im Gegenteil: "Im Zuge der Professionalisierung durch Creativ Writing und Literaturinstitute ist der Standard handwerklich solide, entbehrt aber eines experimentellen Zugangs." Viele Texte sind langweilig. Jeder weitere Versuch, im Stile Judith Hermanns zu schreiben, ist überflüssig.

Wenig Mut zum deutschsprachigen Debüt hat auch Vorzeigeverlag Suhrkamp. Philip Röder von der Geschäftsleitung sieht darin kein Problem. Nach der Umstrukturierung des Hauses pflegt man seinen Bestand. Man wühlt in Briefwechseln aus den Archiven und hegt seine berühmten Autoren. Von rund 55 Autoren aus dem Herbstkatalog sind 20 bereits tot und gerade einmal vier jünger als 50. Zur Frankfurter Buchmesse erscheinen neue Werke der grauen Suhrkamp-Recken: Hans Magnus Enzensberger, Volker Braun und Tankred Dorst. Peter Handke berichtet von "Don Juan (erzählt von ihm selbst)". Aber auch etwas jüngere Autoren sind vertreten. Ralf Rothmann kehrt mit "Junges Licht" in seine Kindheit im Ruhrpott zurück. Und mit dem Musiker Thomas Meinecke ("Musik") meldet sich erneut die legendäre Popfraktion zu Wort. Auch Meinecke wird nächstes Jahr 50.

Zusätzlich drängen in diesem Herbst die ehemaligen Debütanten mit weiteren Büchern auf den Markt. Thomas Brussigs neues Buch "Wie es leuchtet" erscheint Ende September. Schon im Handel ist Sven Regeners Fortsetzung seines Bestsellers "Herr Lehmann".

Keine Frage: Der Markt scheint sich an poppigen Generationsthemen satt gefressen zu haben. Verlage wie S. Fischer ziehen bereits Konsequenzen. Zum 1. Januar 2005 schließt das Haus sein Label Argon, das immerhin mit Florian Illies Buch "Generation Golf" einen Bestseller landete.

Dass literarisch anspruchsvolle Debüts auch finanzielle Vorteile bringen, erlebt hingegen Oliver Vogel, Programmleiter für deutschsprachige Literatur beim S. Fischer Verlag. "Beruhigenderweise ist festzustellen, dass wir mit sehr eigenständigen Texten, die sich unserer Gegenwart mit einer ungewohnten Sprache stellen, die größten Erfolge haben." Mit Kathrin Röggla, Angelika Klüssendorf und Michael Lentz kann der Verlag eigensinnige Autoren vorweisen, die in den Feuilletons wohlwollend besprochen wurden. Aber Debütanten sind es allesamt nicht mehr.

Seit dem 11. September 2001 steckt der Buchmarkt in der Krise. In schwierigen Zeiten, so Pannen, setze man im Zweifelsfall "eher auf kostspielige Lizenzen für ausländische Autoren."

Schlechte Aussichten für deutsche Debütanten? Eggers und Landwehr, eine der wichtigsten Agenturen im Literaturbetrieb, sieht das anders: "Hervorragende Manuskripte von Autoren mit Potenzial", bemühen sie die alte Binse vom Qualitäts-Darwinismus, "finden immer ihren Weg. In Deutschland bleibt kein literarisches Talent unentdeckt." Abwarten!

 

 

- Jana Scheerer "Mein Vater, sein Schwein und ich",

Schöffling & Co., 148 S., 17,90 Euro

- Anne Zielke "Arraia", Blumenbar, 120 S., 16 Euro

- Joachim Lottmann "Die Jugend von heute", Kiwi, 192 S., 8,90 Euro

- Thomas Brussig "Wie es leuchtet", Fischer, 672 S., 18,90 Euro

- Ralf Rothmann "Junges Licht", Suhrkamp, 240 S., 18,90 Euro

 

 

Gustav Mechlenburg

Financial Times Deutschland 10.9.2004