25. August 2004

Qualen der Sprachlosigkeit

 

Die Zunge gelähmt, der Kopf völlig leer, die einzig mögliche Reaktion ein hilfloses Schulterzucken. Der Austernmann teilt sich nicht mit, kann seine Gefühle nicht in Worte fassen und schreit seine Wut nicht heraus.

 

Die Bestsellerautorin Asta Scheib schreibt in ihrem neuen Roman über die Qualen der Sprachlosigkeit. Ihre Hauptfigur, Jochen Osthaus, ist auf den ersten Blick ein erfolgreicher Veterinärmediziner. Die Fassade der heilen Welt bricht jedoch schnell zusammen, als er von heute auf morgen von seiner Frau verlassen wird.

 

Die Ursache der Ehekrise liegt in Jochens Schweigsamkeit, in seinem Unvermögen, seine Gefühle und Gedanken mitzuteilen. Er ist wie eine Auster, die sich vor der Außenwelt verschließt. Jedes Mal treibt es ihm einen Kloß in die Kehle, wenn er eigentlich sprechen sollte.

 

Durch Rückblenden in alltägliche Szenen der Kindheit und Jugend des Austernmanns deckt die Autorin die Gründe für Jochens Schweigen auf. Die Tyranneien und der Hass des Vaters sowie das Ausgeschlossensein vom Familienleben haben Jochen zur Auster werden lassen, ihn zum Schweigen gebracht und zum Außenseiter gemacht. Asta Scheibs "Der Austernmann" ist psychologisch fundiert und sentimental.

 

Manches lässt den Roman jedoch nicht rund werden. Am Rande nur werden die Rolle des Großvaters während des Nationalsozialismus oder Jochens Punkzeit erwähnt. Hier fehlt das Fleisch. Diese Nebenschauplätze irritieren in ihrer Knappheit und lassen die Neugierde des Lesers unbefriedigt. Die Beschreibung der Villengegenden von Berlin und München mit seiner Schickeria ist glatt und oberflächlich. Auch ist die Geschichte in allzu schlichten, die Sprachlosigkeit des Protagonisten vermeintlich wiedergebenden, Sätzen geschrieben und wirkt somit so seicht wie ein "Frauenroman".

 

Ina Weidmann

 

Asta Scheib: Der Austernmann, Hoffmann und Campe 2004

 

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