4. August 2004

Der Geruch des Putzmittels im Flur

 

Die Vision, dass Computer, Roboter und Automaten dem Menschen die Arbeit abnehmen, hat sich bisher zumindest noch nicht bewahrheitet. In der Wissens- und Informationsgesellschaft Deutschland wird im Gegenteil sogar wieder länger gearbeitet. Es gibt sie also noch, die Arbeit. Aber wie sieht sie aus?

 

Auch nach dem Platzen der Internetblase sind die Zauberworte der New Economy wie "Flexibilitiät", "Selbstorganisation", "Netzwerk" unberührt wirkmächtig. Sie entfalten sich prächtig in Organisationsformen, die bereits bestanden, bevor das "Netz" zum Büroalltag wurde. Die im IT-Rausch überbewerteten Strukturen haben den Börsencrash überlebt, weil der Produktionsfaktor Mensch nicht ausgedient hat. Und der quittiert die Beschwörung von Netzen, seien es soziale, weltweite oder auch Einkaufsnetze, nach wie vor mit gelassener realer Praxis.

 

Für Ethnologen gibt es keinen Alltag. Alles kann unter dem Aspekt des Fremden betrachtet werden. Selbst ganz gewöhnlicher E-Mail-Verkehr im Büro wird Gegenstand der Forschung und eröffnet einen Blick auf Sozial- und Arbeitsstrukturen. "Virtualisierung der Arbeit" enthält Aufsätze einer Ethnologen-Tagung zum Thema "Neue Medien und Arbeitswelt", die 2002 an der Bonner Universität stattfand. Alle Beiträge beschäftigen sich mit der Frage, wie sich durch digitale Kommunikation der Berufsalltag verändert hat.

 

Die faszinierende Vorstellung interkultureller Teams: Berlin hat Feierabend, Tokio macht weiter. Ein Arbeitswunder, das sich um die Welt dreht. Ein vertrauensvolles Weitersenden von Material, Daten, Macht. Ein komplexes über den Globus greifendes entgrenztes Arbeiten, bei dem man vom Strand aus, aus der Küche oder dem Bistro schnell noch mal nach Dienstschluss "postfordistisch" eine wesentliche Information via Computer in die Welt schmeißt, wird nie die gesamte Struktur eines Betriebs infizieren. Denn grundsätzliche Kommunikationsstrukturen sind im Wortsinne so eingefleischt, dass an eine Revolution dieses Verhaltens im Sinne totaler Flexibilität nicht zu denken ist.

 

Denn seinen Kollegen montags in die verfeierten Gesichter zu schauen, die von Zetteln überquellenden Schreibtische, die Tochter im Rahmen, den Scherz der letzten Woche ausgedruckt an der Tür hängen zu sehen, das ganze nervige Gequatsche im Fahrstuhl und den Geruch des Putzmittels im Flur, der einen schon so manches Mal zu ungeahnten Palmen der Professionalität hinauftrieb, das ist nur schwer global zu vermitteln. Versucht man es zu erklären, erntet man garantiert entsetztes Unverständnis und Ratlosigkeit vom anderen Ende der Flatline.

 

Die Computerprogramme mögen universell sein, die spezifisch kulturellen Prägungen sind es nicht. Und so kommt es zu einem absonderlichen Wieder-Inkrafttreten lokaler Bezüge mitten im weltweiten Kommunizieren. Der "Diskurs des Globalen erschafft und reaktiviert in vielfältiger Weise Territorialität, insbesondere Nationalität, neu als Sinn- und Symbolsystem". Landestypische Klischees wie das vom tüchtigen Deutschen feiern fröhliche Urständ. An diesem Punkt ist man bei einer tatsächlich vollzogenen Änderung der Arbeitsprozesse angelangt. Die Inanspruchnahme der lokalen Besonderheiten, also die im Alltagswissen verwurzelten Inhalte, mit denen die weltweit operierenden Firmen arbeiten, nimmt die Beschäftigten in eine neue Verantwortung. Die Computer-vermittelte Kommunikation, die allen Beteiligten eher Vertrauen denn Kontrolle suggeriert, verpflichtet zu selbst verantwortlichem und deshalb hoch engagiertem Arbeiten. Das hybride Genre, das Elemente mündlicher Kommunikation als schriftliche erscheinen lässt, fixiert die Verantwortung für die eigene Meinungsäußerung.

 

Dass sich der Computer als Spielgerät auch in die Freizeitgestaltung integrieren lässt, macht die Illusion der flachen Hierarchie perfekt, sodass man kaum noch merkt, ob man mit seinem Chef oder seinem Skatbruder kommuniziert. Aber so einfach ist es dann doch nicht. Verwechslungen sind ausgeschlossen. E-Mailing enthemmt zwar, aber eben in den allgemein bekannten Ausfälligkeiten. Und einem gut gehenden Unternehmen werden große Chat-Foren fremd sein, weil sie zu nichts anderem genutzt werden als zu anonymen persönlichen Angriffen und Weihnachtsgrußbotschaften aus der Konserve. Die interessante, differenzierte, produktive Kommunikationsarbeit findet immer noch in kleinsten Gruppen statt, die sich meist privat kennen. Modernste Informationstechnologien hin oder her, gemeinsame Mahlzeiten und individueller Austausch machen Verstehen erst möglich.

 

Nicht auf Vorrat zu lernen, sondern aktuell Erforderliches von überallher zu bekommen und sogleich zu verwerten, lautet die Devise der zeitgemäßen Arbeitswelt. Ein aus humanistischer Sicht rebellischer Umgang mit Wissen etabliert sich. An die Stelle des Universalgelehrten tritt der googelnde Assoziationsamok eines ungerührten Arbeitnehmers. So vermischt sich aus ethnologischer Sicht Arbeit und Virtualität dann doch vollends: "Wir sind im Netz und auf der Arbeit."

 

Gustav Mechlenburg

 

Die Virtualisierung der Arbeit Gunther Hirschfelder, Birgit Huber (Hg.) Campus 2004, 528 S. 39,90 Euro, ISBN 359337501x

 

Vgl. FTD vom 4.8.2004

© 2004 Financial Times Deutschland