29. Mai 2004

RTL-Samstagnacht als Poproman

 

Ich kann dir eine Wunde schminken, aber ich kann es auch sein lassen. Herr Hülswitt hat das Schreiben studiert und schreibt ein Buch. Als „kreativer Autor“ reiht er sich damit in eine neue Generation von Schreiberlingen ein, die ihr Fach gelernt haben oder selbiges lehren. Doch leider reiht er sich nicht zu den besseren deutschen Popliteraten, sondern bleibt größtenteils auf gutem Aufsatzniveau.

 

Die Geschichte ist kurz erzählt: Hendrik Nühus, Student, Typ Slacker, wie es sich gehört, ist Teil eines Comedy-Kollektivs. Er verliebt sich in ein junges selbstbewusstes Mädchen, wird fürs Fernsehen entdeckt und beginnt mit seinen drei Kollegen, eine professionelle TV-Show auf die Beine zu stellen. Damit tritt als Chef und Nebenbuhler Max Dopper in sein Leben, und diese Verquickung von Beruf und Privatem endet in einem Fiasko. That`s it, wie unsere anglisierenden Protagonisten sagen würden.

 

Etwas komplizierter, jedoch nicht spannender wird es durch die Tatsache, dass der Jungkomiker nicht nur lustig, sondern auch melancholisch sein soll und er als unbedarfter Student, der immer noch kein Mobiltelefon besitzt, gezeichnet wird. Dieser Charakter ist aber nicht cool, sondern vielmehr einer, dessen Zeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts längst abgelaufen ist. Da ändert vor allem auch die Tatsache nichts, dass diese ganze langweilige Geschichte wohl im Osten Deutschlands spielt.

 

Bezüglich des Humors wird hier ein großer Rückschritt in glücklicherweise längst vergangene RTL-Samstagnacht-Zeiten getan. Inzwischen soll ja sogar Anke Engelke lustig sein, dieses Buch aber immer noch nicht. Trotz Comedy gibt es nichts zu lachen. Und es liegt nicht einmal daran, dass es aufgrund der dramatischen und traurigen Seite der Geschichte im Halse stecken bleibt. Unangenehm beschleicht den Leser bei so viel geplanter Witzigkeit das Gefühl, dass ein Großteil der Witze, und zum Teil sind das wirklich Witze, die in Gedanken oder in Dialogen vorgebracht werden, erst bei einer Überarbeitung an unnötigen Stellen hineineditiert worden ist.

 

Es gibt jedoch einen Lichtblick. Glücklicherweise. Und zwar scheinen ein doch ganz beachtliches literarisches Können und psychologisches Wissen in den mehrfach auftretenden Traumszenen durchzuschimmern. Möchte man Bücher remixen oder samplen, so sind diese Passagen Goldstücke, wohl auch weil sie die einzigen Szenen mit genügender Tiefe und Substanz sind, die der Roman sonst über weite Strecken vermissen lässt. Diese Mängel teilt der Autor mit anderen, insbesondere amerikanischen Schreibschulgraduierten. Ähnlich wie man nach einem Medizinstudium Diagnose und Therapie beherrscht, aber nicht notwendigerweise etwas von Heilung versteht, besitzt man nach einem Schreibstudium vielleicht einen guten Stil, die Kunst und das Herzblut liegen jedoch weiterhin jenseits des Seminarraums.

 

Nach all dem, was wir seit Einführung des Privatfernsehens an Unterhaltungsniveau durchgemacht haben, scheint dieses jetzt tatsächlich schwarz auf weiß bei denen anzugelangen, die sich bisher erfolgreich selbigem entzogen haben. Schade! Was bleibt, ist die Sehnsucht nach Autodidakten und Universalgelehrten, die wohl beide in Zukunft zunehmend rare Spezies bleiben werden.

 

Tobias Else

 

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Tobias Hülswitt: „Ich kann dir eine Wunde schminken“, KiWi 2004