27. April 2004

So stell ich mir das Arbeiten vor

 

Wenn man nur 42 Seiten Platz hat und in einem durchgehenden Fall doch oft den Platz, von dem aus gesprochen wird, wechseln will, setzt man über die jeweilige Passage einfach den Namen des Sprechers, und schon kann es weitergehen.

So beschreibt „Er“, was „Ich“ auch erlebt hat, es aber nicht erzählen will. „Ilona“, die neue Freundin, gehört zu Kaspars Erlebnishorizont, anders als „die Frau“, die nicht mehr dazugehört und sich an „Ich“, ihren ehemaligen Mann, erinnert.

„Der Bruder“ wundert sich und ist tatenlos. „Das Kind“ versteht nicht und kann den Vater ohnehin nur schwer ertragen.

„Er“ ist schwer krank, und wenn man den anderen glauben kann, war er das schon immer.

 

„Drei Leben und eine Sekunde“ ist ein akkurat konzipierter Fall, eine Arbeitsfläche, eine Materialsammlung für einen langen Roman. Es ist alles vorbereitet, die Arbeitsbereiche, die einzelnen Fenster und Räume mit Personal und Wetterlage sozusagen abgeklebt und angeschliffen, um jetzt mit Geduld die Räume auszugestalten. Rolf Haufs lässt das weg. Hat keine Geduld. Es geht nämlich auch ohne ausziseliertes Ambiente. Eine vertrackte Anlage hinsichtlich der Zuverlässigkeit des Erzählers. „Was soll ich ihnen eigentlich glauben, sagte Doktor Schiller, hier steht, Patient gab an, wurde als Kind täglich, auch ohne Grund von der M. geschlagen. Kaspar sagte, nie.“

 

Wer wenig Zeit hat, kann auf 42 Seiten das schnell mal überblicken, was gar nicht aufgeschrieben ist. „Drei Leben und eine Sekunde“ wird, durch automatisch wirksame Vervollständigungskräfte beim Lesen, ein Roman.

 

Nora Sdun

 

Rolf Haufs: „Drei Leben und eine Sekunde“ Ein Fall, 42 Seiten, Wunderhorn 2004