18. April 2004

Unschuldige Zombies

 

Um die Beratung der Berater scheint es nicht so schlecht bestellt zu sein. Das könnte man zumindest aus Kathrin Rögglas umwerfendem Erfolg schließen. Die aus Österreich stammende, jetzt in Berlin beheimatete Schriftstellerin hat sich umfassend mit der Consulting- und IT-Branche beschäftigt und anscheinend viel draus gelernt. Nicht nur schlug ihr fälschlicher Weise als Roman ausgegebenes Buch „wir schlafen nicht“ in der Medienwelt auf breites und durchgängig positives Interesse, sie hat aus den über 20 Interviews, die sie mit Personen auf Messen geführt hat, auch gleich ein Hörspiel fürs Radio produziert, und schließlich wird zurzeit am Düsseldorfer Schauspielhaus auch noch ihr gleichnamiges Stück uraufgeführt.

 

Die ungeteilte Aufmerksamkeit irritiert, behandelt Röggla zwar ein aktuelles, doch keineswegs neues Thema. Vom Platzen der Internet-Blase haben wir bereits genug gehört, und dass die Arbeitswelt der Business-Analysten kein Zuckerschlecken ist, sind die Beteiligten selbst redlich bemüht, ständig in die Welt zu posaunen.

 

Zugegeben, wie Röggla die Bewusstseinsströme ihrer unzähligen Informanten stimmig zu sechs Charakteren destilliert, ist beeindruckend. So tummeln sich eine Key Account Managerin, eine Praktikantin, eine Online-Redakteurin, ein IT-Supporter, ein Senior Associate und ein Partner auf einer Messe und erzählen mit zunehmender Aggression – wohl bedingt durch Schlaflosigkeit und Identitätsverlust - einer ausgeblendeten Interviewerin von Arbeitssucht, Kündigungsangst, Schlaflosigkeit, Erschöpfungszuständen und ihrer Angst zu scheitern. Die durchgängig indirekte Rede entpersonalisiert allerdings zugleich das Gerede und wird zum unerträglichen Jargon.

 

In einem Interview erklärte Kathrin Röggla, was sie damit beabsichtigt. „Mich interessiert, was mit den Menschen passiert, wenn ihre Rhetoriken ständig dem strategischen Sprechen unterworfen sind, dem Sprechen über Effizienz und Leistungsmaximierung. Wie fühlen sich diese Non-Stop-Arbeitsprozesse konkret für die einzelnen Personen an?“

 

Solcherlei Reflexion fehlt allerdings leider im Text. An keiner Stelle tritt die Autorin selbst kritisch in Erscheinung. Der Business-Talk und die Selbstbezüglichkeit der Getriebenen sollen sich selbst konterkarieren und tun dies auch. Doch gerade das war von vorneherein zu erwarten und bringt außer „dichter Beschreibung“ keine Erkenntnis.

 

Wer schläft, sündigt nicht. Die Menschen in Kathrin Rögglas Buch schlafen zwar nie, laden aber dennoch keine Schuld auf sich, da die Arbeitswelt die Spielregeln diktiert. Kein Wunder, wenn wir es so gesehen nur noch mit Gespenstern, Zombies und Irren zu tun haben. „also man könne nicht mehr von psychisch ungestörten menschen ausgehen, nein, das könne man nicht, man müsse eher von psychisch gestörten menschen ausgehen, aber das habe er ja schon gesagt, gut, jedenfalls, selbst in einem arbeitsverhältnis würde er nicht mehr von einem psychisch ungestörten gegenüber ausgehen, aber es gebe dennoch leute, die schössen übers ziel hinaus mit ihren neurosen.“

 

Gustav Mechlenburg

 

Kathrin Röggla: „wir schlafen nicht“. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M.; 224 Seiten; 18,90 Euro