3. April 2004

„Das Gesetz der Konversation ist die Unterbrechung“

 

Ein professioneller Lauscher hat vor allem für zwei Dinge zu sorgen: Er sollte auf dem neuesten Stand der Technik sein, und er sollte unter welchen Bedingungen auch immer für eine optimale Übertragung sorgen, d.h. er sollte seine Technik auch tatsächlich einsetzen können. Ein Drittes sollte er tunlichst unterlassen: verstehen wollen. Die Semantik ist allein Sache seiner Auftraggeber. In dem Moment, in dem ein abgehörtes Gespräch verständlich (gemacht) ist, kann sich der Abhörer auf den Weg machen und sein Geld kassieren.

 

John Caul (Gene Heckman) ist auf seinem Gebiet ein ganz Großer, ja eigentlich der Größte. Er entwickelt nicht nur brillante Ideen, mit geringstem Aufwand beste Ergebnisse zu erzielen, er bringt die Technik selbst auch noch voran. Er ist diskret, er denkt nicht über sich nach, und er kann Frauen verlassen, wenn sie zu viel über ihn wissen wollen. Und dann erwischt es ihn doch. Ein junges Pärchen wird belauscht. Das Ergebnis ist durchwachsen. Zuviel Rauschen an wichtigen Stellen. Caul verfügt über die passenden Filter.

 

Und dann hört er den Satz: „Er würde uns ermorden, wenn er könnte.“ Caul fängt an zu denken. Vielleicht fängt er überhaupt erst an zu denken, weil ihn seine Vergangenheit einholt, die er bislang gut verdrängt hat. Vor einigen Jahren hatte die vorbildliche Erledigung eines Jobs den Tod dreier Menschen zur Folge gehabt. Bisher konnte Caul sich die Moral immer durch den schönen Spruch vom Leibe halten, dass er nur seinen Job mache. Jetzt beginnt er einzusehen, dass sein Tun wirkliche Folgen hat. Er wird nervös. Vergrault seinen Mitarbeiter. Hält übergeflissentlich an dem Dienstweg fest, nur dem Auftraggeber selbst die geforderten Bänder zu übergeben. Außerdem gehen ihm die Sätze von den Menschen in Not, wie er annimmt, nicht mehr aus dem Kopf. Auf den Bändern ist von einem Hotel die Rede. Ein Datum wird auch genannt. John Caul mietet sich ein, installiert seine Anlage. Hört Stimmen. Dann geht er in das genannte Zimmer. Alles ist leer, es gibt keine Spuren, die auf irgendetwas hinweisen.

 

Allein die Indizien mehren sich, dass Caul sich selbst nicht mehr im Griff hat. Seine Fantasie geht mit ihm durch, ein Psychiater würde von Paranoia sprechen. Cauls Problem: Er hat sich zu schnell einen Reim auf seinen Text gemacht. In dem Moment, in dem er ein paar Schallwellen gewissermaßen apperzeptive Gestalt gegeben hat, hat er sofort mit der Konstruktionsarbeit begonnen, die sich allerdings wie von selbst gemacht hat. Das ist ja der Trick mit der Gestalttheorie, dass man nur ein paar wenige Basics braucht, um ansehnliche Ergebnisse zu erzielen. Der Text ist zwar klar, die Wirklichkeit bleibt aber verzerrt. Caul ist nicht Gott. Er kennt nur Ausschnitte. Und die setzt er zusammen, wie er will. Im paradoxen Sinn von unwillkürlich. Am Ende ist sein Auftraggeber tot.

 

War Caul wirklich so blind, diese Möglichkeit nicht in Betracht zu ziehen? Die Fotos von der jungen Frau und dem Chef. Eine Eifersuchtsgeschichte. Einer zuviel. Und der konspirative Treffpunkt in dem Park war nicht der von potentiellen Opfern einer Intrige, sondern der von zukünftigen Tätern, die sehr professionell agierten. Und weil Caul das jetzt weiß, weiß er schon wieder zu viel. Dieser Fall ist noch nicht zu Ende. Und Caul vielleicht auf ewig der beobachtete Beobachter. Paranoia pur. Wenn da nicht die Musik wäre.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Francis Ford Coppola, Der Dialog (The Conversation), USA 1973</typohead>